Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Träum süß, kleine Schwester

Träum süß, kleine Schwester

Titel: Träum süß, kleine Schwester
Autoren: Mary Higgins Clark
Vom Netzwerk:
griff zur Schaufel.
    Der Heizkessel funktionierte noch, kam geräuschvoll auf Touren, was rasch im ganzen Haus zu hören war. Die Röhren klapperten und rasselten, als Heißluft zischend nach oben entwich.
    In der Küche hatte Laurie die Lebensmittel ausgepackt und mit der Zubereitung eines Salates begonnen. Mike grillte ein Steak. Sie machten eine Flasche Bordeaux auf und aßen nebeneinander an dem alten Emailtisch, im vertraulichen Schulterschluß.
    Als sie die Treppe zum Schlafzimmer hinaufgingen, entdeckte Mike den Zettel, den die Maklerin auf dem Flurtisch hinterlassen hatte. »Hoffe, Sie finden alles in Ordnung vor. Tut mir leid wegen des Wetters.
    Kohlenlieferung am Freitag.«
    Sie entschieden sich für das Zimmer seiner Großmutter.
    »Sie hat dieses Messingbett geliebt«, erklärte Mike.
    »Keine einzige Nacht, in der sie nicht wie ein Baby darin geschlafen hätte, behauptete sie immer.«
    »Hoffen wir, daß es mir genauso geht.« Laurie seufzte.
    Im Wäscheschrank lagen saubere Laken, aber sie fühlten sich feucht und klamm an. Die Sprungfedermatratzen rochen muffig. »Wärme mich«, flüsterte Laurie erschaudernd, als sie sich zudeckten.
    »Mit Vergnügen.«
    Sie hielten sich fest umschlungen, als sie einschliefen.
    Um drei Uhr begann Laurie zu schreien, ein durchdringender, wehklagender Schrei, der durchs ganze Haus hallte. »Geht weg. Weg mit euch. Ich will nicht.
    Nein, ich will nicht.«
    Es dämmerte bereits, als sie aufhörte zu schluchzen. »Sie kommen näher«, sagte sie zu Mike. »Sie kommen immer näher.«
    Der Regen hielt den ganzen Tag über an. Das Außenthermometer zeigte drei Grad Celsius. Den Vormittag verbrachten sie lesend, jeder auf einer Samtcouch zusammengerollt. Mike beobachtete, wie Laurie sich allmählich entspannte. Als sie nach dem Lunch in tiefen Schlaf fiel, ging er in die Küche und rief den Psychiater an.

    »Ihr Gefühl, daß sie näher kommen, kann ein gutes Zeichen sein«, meinte der Arzt. »Möglicherweise befindet sie sich unmittelbar vor der Bewußtseinsschwelle. Ich bin überzeugt, daß die Wurzel dieser Alpträume in den Ammenmärchen zu suchen ist, die Lauries Großmutter ihr erzählte. Wenn wir genau definieren können, welches diese Angst ausgelöst hat, sind wir in der Lage, sie davon und von allen anderen zu befreien. Beobachten Sie sorgfältig, aber denken Sie daran – sie ist stark und kräftig und will gesund werden. Damit ist die Sache schon halb gewonnen.«
    Als Laurie aufwachte, beschlossen sie, sich das Inventar des Hauses anzusehen. »Dad hat gesagt, wir können alles haben, was wir wollen«, erinnerte Mike sie. »Zwei Tische sind antik, und die Kaminuhr ist ein wahres Prachtstück.«
    Ein Wandschrank im Flur diente als Speicher. Sie begannen ihn auszuräumen und die Sachen ins Wohnzimmer zu schaffen. Laurie, in Jeans und Pullover, das Haar zum Pferdeschwanz aufgebunden, sah wie achtzehn aus und gewann Spaß an der Durchsicht. »Die hiesigen Maler waren ziemlich lausig«, lachte sie, »aber die Rahmen sind toll. Kannst du sie dir nicht genau bei uns an der Wand vorstellen?«
    Im vorigen Jahr hatte Mikes Familie ihnen eine Mansarde in Greenwich Village als Hochzeitsgeschenk gekauft. Bis vor vier Monaten waren sie in ihrer Freizeit ständig auf der Suche nach günstigen Gelegenheiten, grasten Auktionen und Trödler ab. Seit Beginn der Alpträume hatte Laurie das Interesse verloren, die Wohnung weiter einzurichten. Mike drückte die Daumen.
    Vielleicht war sie wirklich auf dem Weg der Besserung.
    Auf dem obersten Fach entdeckte er hinter zusammengerollten Quiltdecken ein Grammophon.
    »Mein Gott, das hatte ich ja völlig vergessen«, sagte er.

    »Ein echter Fund. Sieh mal. Hier ist auch noch ein Stapel alter Platten.«
    Er merkte nicht, daß Laurie plötzlich verstummte, als er die Staubschicht abwischte und den Deckel öffnete. Auf der Innenseite befand sich das Markenzeichen von Edison, ein Hund, der lauschend vor einem Trichter sitzt, und die Inschrift His Master’s Voice. »Es ist sogar ‘ne Nadel dran«, stellte Mike fest.
    Rasch legte er eine Platte auf den Teller, betätigte die Kurbel, drückte den Hebel und beobachtete, wie die Platte sich zu drehen begann. Behutsam setzte er den Tonarm mit der dünnen Nadel in die erste Rille.
    Die Platte war zerkratzt. Hohe Männerstimmen sangen, es hörte sich beinahe wie Falsett an. Das Ganze lief viel zu schnell und nicht synchron. »Ich kann den Text nicht verstehen«, sagte Mike. »Kennst du das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher