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Träum süß, kleine Schwester

Träum süß, kleine Schwester

Titel: Träum süß, kleine Schwester
Autoren: Mary Higgins Clark
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Stück?«
    »Es ist ›Chinatown‹«, erwiderte Laurie. »Hör zu.«
    Sie begann mitzusingen, übernahm mit ihrem bezaubernden Sopran die Führung. Das Herz kennt keine andre Welt und findet nirgends Ruh. Ihre Stimme brach.
    Keuchend schrie sie: » Stell das ab, Mike! Stell’s sofort ab! « Sie hielt sich die Ohren zu, sank in die Knie, totenblaß.
    Mike riß die Nadel mit einem Ruck von der Platte.
    »Was ist denn los, Schatz?«
    »Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht.«
    Bei Tagesanbruch saßen sie in der Küche und tranken Kaffee. »Es fällt mir wieder ein, Mike«, sagte Laurie. »Ich war noch klein. Meine Großmutter hatte auch so ein Grammophon. Und die gleiche Platte. Ich fragte sie, wo denn die Leute sind, die da singen. Ich dachte, sie müßten sich irgendwo im Haus verstecken. Sie nahm mich mit in den Keller und zeigte auf den Verschlag mit den Kohlen.
    Von dort kämen die Stimmen, sagte sie. Die Leute, die das Lied sangen, wären im Kohlenkeller, das könnte sie mir schwören.«
    Mike stellte die Kaffeetasse hin. »Großer Gott!«
    »Danach bin ich nie wieder in den Keller runtergegangen. Ich hatte Angst. Dann zogen wir um in eine Wohnung, und sie verschenkte das Grammophon.
    Deswegen hab’ ich das Ganze wohl vergessen.« In Lauries Augen leuchtete Hoffnung auf.
    »Mike vielleicht hat diese alte Angst mich aus irgendeinem Grund eingeholt. Zu Ende der Spielzeit war ich so erschöpft. Unmittelbar danach fingen die Alpträume an. Mike, die Platte ist vor ‘ner Ewigkeit aufgenommen worden. Die Sänger sind mittlerweile wahrscheinlich alle tot. Und ich habe wahrhaftig gelernt, wie das mit der Tontechnik läuft. Vielleicht kommt doch alles wieder in Ordnung.«
    »Darauf kannst du jede Wette eingehen.« Mike stand auf und ergriff ihre Hand. »Bist du bereit, die Probe aufs Exempel zu machen? Unten ist ein Kohlenkeller. Ich möchte gern, daß du mit mir runterkommst und dir den Verschlag ansiehst.«
    Lauries Augen blickten angstvoll, dann biß sie sich auf die Lippen. »Laß uns gehen«, sagte sie.
    Mike beobachtete Lauries Gesicht, als sie sich im Keller umschaute. Dabei wurde ihm klar, wie verwahrlost er war.
    Die einsame Glühbirne, die an der Decke baumelte. Die vor Feuchtigkeit glänzenden Hohlziegelwände. Der Zementstaub vom Fußboden, der an ihren Hausschuhen haftenblieb. Die Betonstufen, über die man zu den beiden Metalltüren gelangte, die auf den Hinterhof führten. Der verrostete Riegel, mit dem sie verschlossen waren, sah aus, als wäre er jahrelang nicht mehr zurückgeschoben worden.
    Der Verschlag grenzte an den Heizkessel an der Vorderseite des Hauses. Mike spürte, wie sich Lauries Nägel in seine Handfläche gruben, als sie ihn ansteuerten.
    »Wir haben praktisch keine Kohlen mehr«, erklärte er.
    »Ein wahres Glück, daß heute welche geliefert werden sollen. Sag mir, Schatz, was siehst du hier?«
    »Einen Verschlag. Bestenfalls ungefähr zehn Schaufeln Kohle. Ein Fenster. Ich erinnere mich, wie sie damals die Rutsche des Lieferwagens durchs Fenster geschoben haben und die Kohlen dann herunterpolterten. Ich hab’
    immer darüber nachgedacht, ob das den Sängern nicht furchtbar weh tut, wenn alles auf sie herunterprasselt.«
    Laurie versuchte zu lachen. »Keinerlei Anzeichen, daß hier irgend jemand wohnt. Also auch kein Grund mehr für Alpträume, so Gott will.«
    Hand in Hand gingen sie wieder nach oben. Laurie gähnte. »Ich bin so müde, Mike. Und du Ärmster hast meinetwegen seit Monaten keine ruhige Nacht mehr gehabt. Warum legen wir uns nicht einfach wieder zu Bett und verschlafen den Tag. Ich gehe jede Wette ein, daß ich nicht durch einen Traum aufwache.«
    Ihr Kopf ruhte auf seiner Brust, seine Arme hielten sie umfangen. »Träum süß, Liebes«, flüsterte er.
    »Diesmal bestimmt, das verspreche ich. Ich liebe dich, Mike. Hab Dank für alles.«
    Die geräuschvoll durch die Rutsche in den Keller polternden Kohlen weckten Mike. Er blinzelte. Hinter den Vorhängen strömte Licht herein. Automatisch warf er einen Blick auf die Uhr. Kurz vor drei. Meine Güte, er mußte wirklich übermüdet gewesen sein. Laurie war bereits aufgestanden. Er zog lange Khakihosen an, dazu Turnschuhe, lauschte nach Geräuschen aus dem Badezimmer. Nichts zu hören. Lauries Morgenrock und die Slipper lagen auf dem Sessel. Sie mußte bereits angezogen sein. Plötzlich von panischer Angst erfaßt, zerrte sich Mike ein Sweatshirt über den Kopf.
    Das Wohnzimmer. Das Eßzimmer. Die Küche. Ihre
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