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Träum süß, kleine Schwester

Träum süß, kleine Schwester

Titel: Träum süß, kleine Schwester
Autoren: Mary Higgins Clark
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er eine Tonvase mit, ein Frühwerk von Wee Willie, und dazu das Christfestarrangement aus Weihnachtssternen und blühenden Blumen, das Wilma kunstvoll gebastelt hatte.
    Als Wilma die Scherben der Vase zusammengefegt, das Arrangement wiederhergestellt und den Pelikan, dem jetzt ein Stück eines Flügels fehlte, auf den Tisch zurückgestellt hatte, war sie mit ihrer Geduld am Ende. Aber der Gedanke an den magischen Augenblick, in dem sie nachsah und feststellte, wie nahe sie dem Gewinn gekommen waren – vielleicht waren sie diesmal sogar sehr nahe drangewesen –, brachte ihre übliche gute Laune zurück. Sie machte sich eine Tasse Kaffee und Zimttoast zurecht, setzte sich an den Küchentisch und schlug die Zeitung auf.
    Sechzehn glückliche Gewinner teilen sich den Zweiunddreißig-Millionen-Dollar-Preis, lautete die
    Schlagzeile.
    Sechzehn glückliche Gewinner. Wenn sie nur einer von ihnen wäre! Wilma legte die Hand über die Zahlenreihe.
    Sie wollte eine Zahl nach der anderen aufdecken – das erhöhte die Spannung.
    1-9-4-7-5
    Wilma holte tief Luft. Ihr Kopf hämmerte. Die Spannung war beinahe unerträglich, als sie die Hand wegzog.
    Bei ihrem Aufschrei und dem Geräusch des umfallenden Küchenstuhls setzte sich Ernie kerzengerade im Bett auf.
    Das Jüngste Gericht stand bevor.
    Wilma stürzte mit strahlendem Gesicht herein.
    »Warum hast du es mir nicht erzählt, Ernie? Gib mir das. Los! «
    Ernies Kopf sank herab. Seine Stimme war ein heiseres Flüstern. »Ich habe es verloren.«
    Loretta hatte gewußt, daß es unvermeidlich war. Trotzdem rief der Anblick von Wilma Bean, die mit dem verlegenen, niedergeschlagenen Ernie im Schlepptau den schneebestäubten Betonweg heraufkam, bei ihr einen Augenblick lang Panik hervor.
    »Vergiß es«, sagte sie sich. »Sie haben keinerlei Beweise. Ich habe meine Spur vollkommen verwischt«, redete sie sich noch einmal ein, während Wilma und Ernie zwischen den beiden immergrünen Büschen, die Loretta mit Dutzenden von Weihnachtskerzen geschmückt hatte, die Stufen zu der Veranda hinaufstiegen. Loretta hatte sich ihre Geschichte genau zurechtgelegt. Sie hatte Ernie bis zu seiner Haustür begleitet. Jeder, der wußte, wie eifersüchtig Big Jimbo war, würde verstehen, daß Loretta die Schwelle zum Heim eines anderen Mannes nur dann überschritt, wenn seine Frau zu Hause war.
    Wenn Wilma sich nach dem Los erkundigte, würde Loretta fragen: »Was für ein Los?« Ernie hatte ihr gegenüber nichts von einem Los erwähnt. Er war in seinem Zustand gar nicht fähig gewesen, vernünftig zu sprechen. Frag Lou. Ernie war nach ein paar Drinks blau gewesen. Wahrscheinlich war er schon vorher irgendwo eingekehrt.
    Hatte Loretta ein Los für die Weihnachts-Sonderziehung gekauft? Natürlich hatte sie etliche Lose gekauft. Willst du sie sehen? Immer, wenn sie daran dachte, nahm sie ein paar Lose mit. Nie im gleichen Geschäft. Im Spirituosenladen, im Papiergeschäft – wie es der Zufall wollte. Und immer nahm sie die Zahlen, die ihr auf Anhieb einfielen.
    Loretta kratzte heftig ihre rechte Hand. Der verdammte Giftsumach. Sie hatte das Gewinnlos 1-9-4-7-5-2 sicher in der Zuckerschale ihres besten Services versteckt. Man hatte ein Jahr Zeit, um seinen Gewinn anzufordern. Knapp bevor das Jahr zu Ende war, würde sie ›zufällig‹ darüber stolpern. Mochten Wilma und Ernie doch heulen, daß es das ihre war.

    Es klingelte. Loretta fuhr sich über das leuchtende Goldhaar, das sie zu einer Windstoßfrisur aufgetürmt hatte, schob die Achselpolster ihres flitterbesetzten Pullovers zurecht und lief in den winzigen Vorraum. Als sie die Tür öffnete, setzte sie ein strahlendes Lächeln auf, achtete aber gleichzeitig darauf, nicht zu sehr zu lächeln.
    Ihr Gesicht war eine ihrer ständigen Sorgen, weil das Gesicht ihrer Mutter im Alter von sechzig Jahren wie zerknittertes Seidenpapier ausgesehen hatte. »Was für eine reizende Überraschung – Wilma, Ernie«, sprudelte sie hervor.
    »Kommt herein, kommt doch herein.«
    Sie übersah großzügig, daß weder Wilma noch Ernie ihr antworteten, daß keiner sich die Mühe machte, sich auf der eigens zu diesem Zweck im Vorzimmer liegenden Fußmatte den Schnee von den Schuhen abzustreifen, daß sie die Begrüßung weder lächelnd noch herzlich erwiderten.
    Wilma lehnte es ab, sich zu setzen, eine Tasse Tee oder eine Bloody Mary zu trinken. Sie sagte klar und deutlich, weshalb sie gekommen waren. Ernie hatte ein Zwei-Millionen-Lotterielos besessen. Er hatte
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