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Totgesagt

Totgesagt

Titel: Totgesagt
Autoren: T Weaver
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übersteigt meine Möglichkeiten.«
    »Sie haben doch Verbindungen.«
    »Ich habe ein paar Verbindungen. Ich habe ein paar Quellen aus meinen Journalistenzeiten. Aber hier geht es um mehr. Das ist eine ausgewachsene Untersuchung.«
    Sie hob die Hand zum Gesicht.
    »Kommen Sie, Mary. Verstehen Sie denn nicht, was ich sage?«
    Sie regte sich nicht.
    »Ich würde nur Ihr Geld vergeuden. Warum versuchen Sie es nicht bei einem richtigen Detektiv?«
    Sie schüttelte sanft den Kopf.
    »Für solche Nachforschungen werden Detektive bezahlt.«
    Sie blickte auf, Tränen in den Augen.
    »Ich habe hier einige Namen.« Ich öffnete die oberste Schublade meines Schreibtischs und nahm ein Notizbuch heraus, das ich benutzt hatte, als ich noch bei der Zeitung gearbeitet hatte. »Lassen Sie mich sehen.«
    Ich hörte sie schniefen, sah aus dem Augenwinkel, wie sie die Tränen aus ihrem Gesicht wischte, doch ich blickte nicht auf. »Hier ist jemand, den ich kenne.«
    Sie hob eine Hand.

    »Ich bin nicht interessiert.«
    »Aber dieser Mann wird Ihnen hel…«
    »Ich werde es niemand anderem erklären.«
    »Warum nicht?«
    »Können Sie sich vorstellen, wie oft ich dieses Gespräch in meinem Kopf durchgespielt habe? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich noch einmal die Kraft dazu aufbringe. Und wozu auch? Wenn Sie mir nicht glauben, was bringt Sie dann zu der Annahme, dass dieser Detektiv mir glauben würde?«
    »Es ist sein Job.«
    »Er würde mich auslachen.«
    »Er würde Sie nicht auslachen. Nicht dieser Mann.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Die Art, wie Sie mich anschauen, könnte ich nicht noch einmal ertragen.«
    »Mary …«
    Sie ließ ihre Hand sinken. »Stellen Sie sich vor, es ginge um Derryn.«
    »Mary …«
    » Stellen Sie es sich vor «, wiederholte sie. Dann stand sie ganz ruhig auf und ging hinaus.

3
    Ich wuchs auf einer Farm auf. Mein Vater jagte Fasane und Kaninchen mit einem alten Bolzengewehr. Sonntag morgens, wenn der Rest des Dorfs – einschließlich meiner Mum – auf dem Weg zur Kirche war, zerrte er mich hinaus in den Wald, wo wir Schießübungen machten.
    Als ich alt genug war, gingen wir zu einer nachgebauten Beretta über, die er bei einem Versandhandel bestellt hatte. Sie taugte nur für Luftgewehrmunition, doch er stellte im
Wald Zielscheiben für mich auf; menschengroße Scheiben, die ich treffen musste. Zehn Scheiben. Zehn Punkte für einen Kopfschuss, fünf für den Körper. An meinem sechzehnten Geburtstag schaffte ich zum ersten Mal die vollen hundert Punkte. Er feierte den Anlass, indem er mich seine liebste Jägerjacke tragen ließ und mich zusammen mit seinen Freunden mit in den Pub nahm. Bald wusste das ganze Dorf, dass sein einziges Kind eines Tages der beste Scharfschütze der britischen Armee sein würde.
    Dazu kam es nie, aber zehn Jahre später fand ich eine Beretta, genau wie die, die er mich hatte benutzen lassen, in den Straßen von Alexandra, einem Township in Johannesburg. Nur dass diese echt war. Im Lauf steckte noch eine einzige Patrone. Später am selben Tag fand ich heraus, dass eine Kugel, vielleicht aus dieser Waffe, das Leben des Fotografen beendet hatte, mit dem ich zwei Jahre lang mein Büro geteilt hatte. Er war noch fünfhundert Meter über eine Straße gekrochen, während um ihn herum Schüsse krachten und Menschen über ihn hinwegsprangen – dann war er mitten auf der Straße gestorben.
    In dem Haus, das ich später am Abend mietete, nahm ich die Patrone aus der Waffe. Seitdem trage ich sie bei mir. Als Erinnerung an meinen Dad und unsere Sonntagvormittage im Wald. Als Erinnerung an den Fotografen, der diese Welt verlassen hat, allein, mitten auf einer staubigen Straße. Aber auch als Erinnerung daran, wie einem das Leben genommen werden kann, und an die Strecke, die zu kriechen man bereit sein mag, wenn man es nicht loslassen will.
     
    Es war kurz nach neun Uhr am Abend, als ich Mary anrief und ihr sagte, ich würde den Fall übernehmen. Sie begann zu weinen. Ich hörte ihr ein paar Minuten zu. Ihr Schluchzen wurde nur von ihren Dankesworten unterbrochen.
Dann erklärte ich, dass ich am nächsten Morgen bei ihr vorbeikommen würde.
    Als ich den Hörer auflegte, schaute ich in den Flur, in die Eingeweide meines Hauses und weiter in die Dunkelheit unseres Schlafzimmers; unberührt, seit Derryn gestorben war. Ihre Bücher lagen noch immer unter dem Fenster aufgestapelt, die Umschläge zerknittert, die Seiten an den Ecken geknickt, wenn sie gerade kein Lesezeichen zur Hand
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