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totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)

totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)

Titel: totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
Autoren: Minck
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notieren immer alles mit. Kommen Sie immer wieder auf einen Termin zurück, und fragen Sie sofort, wo ich die Leiche abholen soll. Den organisatorischen Kram mit Totenscheinen, Sterbeurkunden, Leichenpässen …« Hatte der Kugelfisch gerade Leichenpass gesagt?
    »… Friedhofsterminen, Träger bestellen und Organisten usw. etc. pp. bringe ich Ihnen schnell bei. Kommt der Tod auch in Ihr Haus, Herr Sommer trägt ihn wieder raus … hahaha!«
    Was für ein Killerjoke. Kalauerpolizei! Zu Hilfe, nehmen Sie sofort diese Pointe fest!
    Ich war erleichtert, als ich mich eingehender im Büro umschaute, denn es sah völlig normal aus. Es gab neben dem Empfangsraum, in dem mein zukünftiger Schreibtisch stand, noch einen angrenzenden Besprechungsraum mit einem großen Tisch und sechs Stühlen – für die Trauergespräche. Dort hingen an den Wänden die unvermeidlichen Bilder von Werden und Vergehen: Meereswelle, Wald im Herbst, Grabstein-Engel und Sinnsprüche aus dem Bibelkalender. Warum nicht Bilder von der Sahelzone oder den Slums von Sao Paulo oder von Verbrennungen am Ganges? Da war auch Werden und Vergehen – ohne Ende. Die Möblierung und der Wandanstrich machten auf mich den Eindruck, jemand sei auf dem schmalen Grat zwischen Funktionalität, Pietät und Modernität ein wenig ins Schleudern geraten. Ein bisschen zu viel Blau und Gold für meinen Geschmack. Der Tisch und die Stühle waren das, was man in Mittelstandsmöbelhäusern vollmundig mit »Designer-Dies-oder-Das« anpries. Den Namen des oder der Designer erfuhr man aber nie.
    Das einzige Möbelstück, das ich sofort ins Herz schloss, war ein alter Safe. Die Figur aus graugrün gesprenkeltem Speckstein, die auf dem Safe stand und aussah wie ein Verlegenheitskauf vom Weihnachtsbasar des anthroposophischen Volkshochschulkurses für sechsfingrige Designer-Mutanten, könnte ich in absehbarer Zeit locker irgendwann mit einem Ellbogencheck wie zufällig vom Safe kicken. Was auch immer es darstellen sollte, es hatte eine unheimliche, fast bösartige Aura.
    Während ich in Gedanken zynische Kommentare über das Interieur machte, fiel mir auf, dass hier gar keine Toten herumlagen. Wie es aussah, würde ich also zu hundert Prozent mit den Lebenden kommunizieren. Ich war gerade dabei, mich zu entspannen, als Sommer mit schwungvoller Geste eine Schiebetür öffnete und mein Blick auf einen riesigen Ausstellungsraum für Särge fiel.
    »Hier, Frau Abendroth, falls jemand nachfragt, die Preise stehen dran, inklusive Mehrwertsteuer. Probeliegen ist nicht erlaubt. Wenn Sie Fragen haben, können Sie sich auch an Herrn Matti wenden, wann immer ich nicht da bin. Wann, sagten Sie, können Sie anfangen?«
    Gerade wollte ich schnippisch antworten, dass er in diesem Jahrhundert bitte nicht mehr mit mir rechnen solle, aber dann dachte ich an Benzin und Essen und vor allem an Kaffee und Zigaretten.
    »Nun, Herr Sommer, wir haben noch gar nicht über mein Gehalt gesprochen. Was zahlen Sie denn so?«
    Jetzt wurde er besonders salbungsvoll. Schneidig wippte er auf seinen kurzen Beinchen hin und her. Die stoppeligen Bäckchen wippten mit. Er legte seine Fingerspitzen bedächtig aneinander. »Für den Anfang 3000 Mark. Brutto, versteht sich. Wenn Sie sich gut einarbeiten, wird es schon die eine oder andere Mark mehr werden.«
    Diese Kröte wollte erst mal geschluckt sein. Von verdauen wollte ich gar nicht reden. 3000 Mark sind bald nur noch knapp 1500 Euro, also nur noch die Hälfte. Komm jetzt, Margret, mach keine Witze, du hast dann nur noch ca. 1700 Mark zum Leben. Für einen ganzen Monat 1700 Mark, 850 Euro. Davon leben in Deutschland die meisten Familien. Und sie haben ein Auto, Kinder und einen Bausparvertrag. Ich versuchte die Stimme der Vernunft mit einem lauten »Hätätä« niederzumachen, woraufhin diese auch sofort verstummte. Während sich mein innerer Dialog abspulte, tanzte Sommer um seine Särge herum und erklärte enthusiastisch deren Vorzüge, Holzarten und, und, und.
    Mein Gehirn fraß sich derweil an 1700 Mark fest. Shocking! Soviel hatte ich vor meinem Schreibdebakel in zwei Tagen verdient. Na ja, da war ich den Öffentlich-Rechtlichen noch als Teamberater für Development-Projekte genehm.
    Unweigerlich schob sich mein desolater Kontostand wieder in mein Bewusstsein, und ich zuckte innerlich zusammen, als sich vor meinem geistigen Auge die Szene abspulte, in der ich meine goldene Mastercard an die Bank hatte zurückgeben müssen. Als der Bankangestellte die
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