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totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)

totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)

Titel: totgepflegt: Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab (German Edition)
Autoren: Minck
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ohne mir viele Hoffnungen zu machen. Ich war für ihn schließlich so was wie eine »Kreative«. Dafür gab es in seinem Computer noch nicht einmal eine Kategorie, und die Schreibblockade fiel auch nicht unter anerkannte Berufskrankheiten.
    Als ich den Brief öffnete, betete ich um ein Wunder. Wollten sie mir aus verschwiegenen Europafonds für kranke Kreative etwa ein bisschen Geld bezahlen? Nein, so schön war es dann doch nicht. Ein kleines Wunder war es aber schon: Arbeitsamtmän hatte einen Jobvorschlag für mich. Ich sollte mich bei einer Firma namens Pietät Sommer vorstellen, als Bürokraft. Pietät bedeutete doch Bestattungsinstitut, oder täuschte ich mich? Ich, Margret – genannt Maggie – Abendroth, 37 Jahre alt, soll acht Stunden am Tag in einem Bestattungsinstitut verbringen? Mir war sofort klar, dass ich spätestens nach den ersten 30 Minuten die nächste Leiche sein würde. Nein, nein, nein!
    H o r r o r s c h a u ! Ich hatte viel zu viel Fantasie für so einen Job.
    Ich zählte das Geld in meinem Portemonnaie. Noch 430  Mark, heute war erst der 15. des Monats, und für den Fernseher brauchte ich mindestens 250 Mark. Das war Realität in Zahlen. Jetzt hatte ich zu viel Fantasie, um mir die nächsten Monate ohne Job vorzustellen. Na gut, man kann ja mal da anrufen, maulte ich vor mich hin. Automatisch griff ich in meine Handtasche, nur um festzustellen, dass ich gar kein Handy mehr hatte. Mein Festnetzanschluss würde frühestens morgen oder übermorgen aktiviert. Es sei denn, die Telekom hatte sich wieder kollektiv in die Meditation »Kunst der Langsamkeit in Vollendung« vertieft.
    Ich beschloss, den Tatsachen ins Auge zu sehen – meine elegante Umschreibung von »sich ducken« –, holte mein schwarzes Businessjackett aus dem Kleidersack, zwängte mich hinein, bestieg mein Auto und fuhr in Richtung Pietät Sommer. Da wird schon jemand da sein, Hauptsache lebendig. Der Tod kommt immer unangemeldet, warum sollte für mich was anderes gelten? Herr Sommer würde schon damit umzugehen wissen.
    Um es kurz zu machen: Herr Sommer war geradezu entzückt, dass das Arbeitsamt ihm nach fünf Monaten Wartezeit auch schon jemanden geschickt hatte. Besagter Herr Sommer war in mittelgrauen Zwirn gekleidet, klein und pummelig, und ich fand, seine angegrauten Haare konnten mal wieder einen ordentlichen Schnitt vertragen. Ich war etwas irritiert von seiner Art, sehr betont zu sprechen. Wahrscheinlich hatte er das auf dem Seminar »Trauergespräche leicht gemacht« gelernt. Sommer wählte seine Worte mit Bedacht, so wie jemand, der sich aus einer dargereichten Schale Obst ungeniert langsam das beste Stück heraussucht, während dem edlen Spender langsam der Arm abfällt. Zu meiner Verwunderung wollte er weder Referenzen noch Zeugnisse sehen, noch sonst viel von mir erfahren. Ob ich mit Zehnfingersystem schreiben könne? Und wie! Zur Not auch mit 20. Und Rechnungen? Sollte ich wohl noch nicht vergessen haben! Mit dem Computer umgehen? Wer, wenn nicht ich! Er versprach mir hoch und heilig, dass ich nie mit Hand anlegen müsse und die werte, aber tote Kundschaft auch nie zu Gesicht kriegen würde. Dabei zitterten seine kleinen Fettbäckchen aufgeregt. Das bisschen Einfühlungsvermögen am Telefon mit …
    Ich hörte schon nicht mehr richtig hin, denn ich stellte mir gerade vor, wie er wohl aussehen würde, wenn man die Bäckchen etwas zusammenschöbe. Kugelfisch, genau, das war’s, aufgeregter Kugelfisch. Ich stieg beim Thema »trauernde Hinterbliebene« wieder in seinen dahinplätschernden Sermon ein und bekam gerade noch mit, dass Trauergespräche dann schon nicht mehr mein Ressort sein würden. Vielleicht später mal. Falls es ein Später überhaupt geben würde. Ich war mir da nicht so sicher. Meine Garderobe fand er gelungen klassisch, aber etwas zu schwarz. Erzähl das mal Herrn Armani! Herr Wilbert Friedensreich Sommer bevorzugte gedeckte Farben, aber nicht zwingend schwarz, wie er mir erklärte: »Wir gehören ja nicht zu den Trauernden!«
    Ach, is’ wahr?
    Sollte mir das letzte Weihnachtsgeschenk von meinem Ex heute auch noch meinen Albtraumjob vermasseln? Beziehungsende hin oder her, aber einen Armani gibt man doch nicht in die Altkleidersammlung, auch wenn er unter den Armen ein bisschen spannt. Zugegeben – wäre es eine weiße Jacke gewesen, ich hätte ausgesehen wie das Michelinmännchen.
    »Zuhören, wissen Sie, zuhören ist das Allerwichtigste, und nicht vergessen, einen Termin machen. Sie
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