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Totgelesen (German Edition)

Totgelesen (German Edition)

Titel: Totgelesen (German Edition)
Autoren: Ingrid Rieger
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Einzige an ihr, das sie aus der Masse hervorstechen ließ - war gebändigt, und sie war die unauffällige Durchschnittsfrau, die sie gern zur Schau stellte. Nicht außergewöhnlich hübsch, nicht hässlich, mittelgroß, sportlich, ohne allzu muskulös zu wirken. Eine Frau, die einem erst beim zweiten Hinsehen auffiel. Diese Tatsache unterstrich sie zusätzlich durch ihre nichtssagende Kleidung: No-Name-Jeans kombiniert mit unscheinbaren Pullis oder T-Shirts. Jeder konnte in sie hineininterpretieren was ihm gefiel. Der ausgekochte Geschäftsmann oder der ehrlose Gauner sahen das harmlose Weibchen, dem sie gewachsen waren. Frauen die Freundin, Schwester oder Tochter, der sie ihr Geheimnis anvertrauten.
    Bei ihren Kollegen verzichtete sie auf Revierkonflikte. Dein ist dein und mein ist mein. Aber: Mein ist wirklich mein , dafür kämpfte sie. Da zeigte sie, zum Erstaunen ihrer Gegner, Zähne.
    Bei dem Gedanken, wie einfach es war, Menschen hinters Licht zu führen, leuchteten ihre undefinierbar gefärbten Augen.

    »Du bist ein eigenartiges Ding. Andere Kinder träumen davon, Prinzessin oder Balletttänzerin zu werden, und du willst zur Polizei. Das ist kein Beruf für ein Mädchen«, die Tiraden ihrer Mutter halfen wenig. Schon mit sieben Jahren wusste Monika, was sie wollte. Ihrer Mutter wäre ein kleines, anschmiegsames Püppchen lieber gewesen, am besten nah am Wasser gebaut. Damals lernte sie, sich anzupassen. Äußerlich weich und verwundbar, innerlich willensstark und energiegeladen. Anders als die Masse.
    Monika wusste genau, an welchem Tag ihr Wunsch entstand: An ihrem siebenten Geburtstag.
    Ihre Mutter duldete keine Ausnahmen und auch an diesem Tag musste sie nach der Schule zunächst in ihr Zimmer, um die Hausaufgaben zu erledigen. Was nicht unbedingt zielführend war, da die Wohnung im dritten Stock eines Mehrparteienhauses in Wien-Favoriten dazu verführte, aus dem Fenster zu blicken. Passanten zu beobachten war interessanter - besonders an diesem Tag. Die Polizeiautos, die vor der gegenüberliegenden Bank Austria zum Stehen kamen, die Aufregung, als die Spezialeinheiten die Bank umstellten … ein Bankraub wie in einem Kinofilm. Der Anblick war in ihrer Erinnerung noch genauso präsent wie damals. In dieser Nacht träumte Monika das erste Mal davon, selbst unter den Beamten zu sein und die Verbrecher allein zu stellen.
    Bereits am Ende ihrer Pflichtschulzeit wusste sie, wie lange die Ausbildung zur Polizistin dauern würde und kannte die Anforderungen. Mit 15 lief sie täglich mehrere Kilometer, um den Fitnesstest bei der Aufnahmeprüfung zu bestehen. Sie setzte alles daran, ihr Ziel zu erreichen. Ihre Willenskraft verließ sie weder während der sechsjährigen Dienstzeit als Uniformierte in Wien noch in den 12 Monaten der Ausbildung für das Landeskriminalamt. Ihr Durchhaltevermögen brachte sie ans Ziel. Monika wurde Inspektorin der Kriminalpolizei Wien.
    Eine Sommergrippe brachte es an den Tag: etwas fehlte. Niemand kochte ihr Tee, reichte ihr das Fieberthermometer und ein wenig bemitleidet zu werden, hätte ihr auch gutgetan. Also bewarb sie sich bei der steirischen Kripo, um ihre Schwester und deren Familie in der Nähe zu haben.
    Nun stand sie hier, an diesem tristen Februarmorgen und wartete darauf, was die Taucher aus dem See bergen würden.
    Um sie herum herrschte lebhaftes Treiben. Polizisten, die mit Absperrband die Brücke und das Ufer absteckten, Ermittler der Spurensicherung, die das Blut, das sich auf der Brücke befand, sicherstellten und Schaulustige, die mit den Leuten von der Presse hinter der Absperrung Mutmaßungen anstellten. In dem Moment, als der erste Taucher seinen Kopf aus dem Wasser streckte und den Sanitätern mit der Bahre ein Zeichen gab, verstärkte sich die Unruhe. Alle Blicke richteten sich auf die drei Männer mit den dunklen Neoprenanzügen, bis der erste Journalist seine Starre überwand und Sekunden später dutzende Fotoapparate klickten.
    Die Taucher zerrten einen Körper auf die Bahre und die Sanitäter trugen den Leichnam hinter einen Sichtschutz, um sie vor den Augen der reißerischen Presse zu schützen. Monika beobachtete die Situation mit Distanz - als ob sie das alles nichts angehen würde. Versuchte, die Eindrücke, die rund um sie herumschwirrten, aufzunehmen.
     , schoss es ihr durch den Kopf.
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