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Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan

Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan
Autoren: Kathy Reichs
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Nachmittag war Ferris’ Leiche in einer Abstellkammer im Obergeschoss seines Geschäftsgebäudes entdeckt worden. Keine Hinweise auf einen Einbruch. Keine Hinweise auf einen Kampf. Die Angestellte sagte, er habe sich in letzter Zeit merkwürdig verhalten. Tod durch einen selbst beigefügten Pistolenschuss lautete die Einschätzung vor Ort. Die Familie des Opfers beharrte jedoch stur darauf, dass ein Selbstmord ausgeschlossen sei.
    Der Coroner hatte eine Autopsie angeordnet. Ferris’ Verwandte und der Rabbi hatten dagegen Einspruch erhoben. Die Verhandlungen waren ziemlich hitzig verlaufen.
    Ich sollte nun gleich den Kompromiss sehen, den man erreicht hatte.
    Und das, was die Katzen angerichtet hatten.
    Vom Aufzug aus ging ich nach links und dann nach rechts auf die Leichenhalle zu. Als ich mich der äußeren Tür des Autopsieflügels näherte, hörte ich Geräusche aus dem Familienzimmer, einer tristen, kleinen Kammer, die für diejenigen reserviert war, die man für eine Identifikation der Toten einbestellt hatte.
    Leises Schluchzen. Eine Frauenstimme.
    Ich stellte mir den trostlosen kleinen Raum mit seinen Plastikpflanzen und Plastikstühlen und dem diskret mit einem Vorhang verhängten Fenster vor und spürte den üblichen Schmerz. Wir im LSJML machen keine Krankenhausautopsien. Keine Leberzirrhose im Endstadium. Kein Pankreaskrebs. Wir treten in Aktion bei Mord, Selbstmord, Unfällen und plötzlichen und unerwarteten Todesfällen. Im Familienzimmer warten diejenigen, die eben vom Undenkbaren und Unvorhergesehenen überfallen wurden. Deren Kummer rührt mich immer.
    Ich zog eine hellblaue Tür auf und lief einen schmalen Korridor entlang, vorbei an Computerterminals, Trockengestellen und Edelstahlrollbahren zu meiner Rechten und weiteren blauen Türen zu meiner Linken, alle mit der Aufschrift Salle d’Autopsie. Vor der vierten Tür atmete ich einmal tief durch und trat dann ein.
    Neben den Skelettierten bekomme ich die Verbrannten, die Mumifizierten, die Verstümmelten und die Verfaulten. Meine Aufgabe ist es, die Identität zu rekonstruieren, die der Tod ausgelöscht hat. Saal vier benutze ich ziemlich häufig, weil er mit einem speziellen Belüftungssystem ausgestattet ist. An diesem Morgen hatte das System gegen den Fäulnisgestank kaum eine Chance.
    Einige Autopsien finden vor leerem Haus statt. Andere ziehen Publikum förmlich an. Trotz des Gestanks gab es bei Avram Ferris’ Autopsie nur Stehplätze.
    LaManche. Lisa, seine Autopsietechnikerin. Zwei uniformierte Beamte. Ein Detective der Sûreté du Québec, den ich nicht kannte. Ein großer Kerl, sommersprossig und blasser als Tofu.
    Ein SQ-Detective, den ich kannte. O Mann. Andrew Ryan. Eins sechsundachtzig. Sandblonde Haare. Wikingerblaue Augen.
    Wir nickten einander zu. Ryan der Bulle. Tempe die Anthropologin.
    Als wären die offiziellen Teilnehmer nicht schon zahlreich genug, bildeten auch noch vier Laien hinter der Leiche eine Mauer der Missbilligung.
    Ich musterte sie schnell. Lauter Männer. Zwei Mittfünfziger, die beiden anderen vermutlich Ende sechzig. Dunkle Haare. Brillen. Bärte. Yarmulken.
    Die Wand betrachtete mich abschätzend. Acht Hände blieben hinter vier steifen Rücken gefaltet.
    LaManche zog seine Atemmaske herunter und stellte mich dem Beobachterquartett vor.
    »In Anbetracht des Zustandes von Mr. Ferris’ Leiche ist ein Anthropologe erforderlich.«
    Vier verständnislose Blicke.
    »Dr. Brennans Fachgebiet ist skelettale Anatomie.« LaManche sprach Englisch. »Sie ist, was Ihre speziellen Anforderungen angeht, vollständig im Bilde.«
    Abgesehen von der sorgfältigen Aufbewahrung auch der geringsten Mengen von Blut und Gewebe, hatte ich keine Ahnung von den speziellen Anforderungen dieser Männer.
    »Mein tief empfundenes Bedauern über Ihren Verlust«, sagte ich und drückte mir mein Klemmbrett an die Brust.
    Vier Köpfe nickten melancholisch.
    Ihr Verlust lag in der Bühnenmitte, mit einer Plastikplane zwischen Leiche und Edelstahl. Auf dem Boden unter und um den Tisch herum waren weitere Planen ausgebreitet. Leere Wannen, Gläser und Röhrchen standen auf einem Rollwagen bereit.
    Die Leiche war ausgezogen und gewaschen, doch es war noch kein einziger Schnitt gesetzt worden. Zwei Papiertüten lagen platt gedrückt auf der Arbeitstheke. Ich nahm an, dass LaManche seine äußerliche Untersuchung bereits abgeschlossen hatte, darunter auch die Suche nach Schmauchspuren und anderen Indizien an Ferris’ Händen.
    Acht Augen
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