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Totes Meer

Titel: Totes Meer
Autoren: B Keene
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und Malik sind Bruder und Schwester. Ich bin schwul. Und selbst wenn ich nicht schwul wäre – wie sich herausgestellt hat, hat Carol bereits die Menopause hinter sich. So viel zu dieser Idee. Die Zukunft liegt in den Händen von Tasha und Malik. Sie sind die nächste Generation. Sie müssen überleben. Ich muss ihr Held sein.
    Im Lagerraum mit den Lebensmitteln haben wir ein paar Tüten Marshmallows gefunden. Manchmal machen wir abends in einem leeren Ölfass Feuer, mit zerbrochenen Paletten als Anmachholz. Dann rösten wir Marshmallows. Der Rauch steigt zum Himmel auf. Ich stelle mir dann gerne vor, dass irgendwer da oben ihn sehen kann. Vielleicht kein Flugzeug und bestimmt nicht Gott – Gott ist tot. Das weiß ich jetzt. Gott ist einer von ihnen. Aber vielleicht kann jemand anders ihn sehen. Auf der internationalen Raumstation gibt es doch Astronauten, oder? Sie waren da oben, als die Seuche ausbrach, und sie sind immer noch da oben. Genau wie wir können sie nicht nach Hause. Also tue ich so, als könnten sie den Rauch sehen und würden sich dadurch nicht mehr so allein fühlen. Sie wissen, dass noch jemand am Leben ist, dass die Menschheit überlebt, das Leben sich durchsetzt.
    Aber es ist nur eine Vorstellung.
    Unter den persönlichen Sachen eines Mannschaftsmitglieds habe ich eine Bibel gefunden. Der Rücken ist gebrochen, und die Seiten sind verschlissen und zerknickt. Derjenige, dem sie gehört hat, hat offenbar
viel darin gelesen. Ich habe sie ein paar Mal durchgeblättert und willkürlich einige Passagen gelesen, auf der Suche nach Trost und Geborgenheit. Ich habe nichts davon gefunden. Aber ich habe einen Vers entdeckt, der mich angesprochen hat. Jeremiah, Kapitel 8, Vers 20: »Die Ernte ist vergangen, der Sommer ist dahin, und uns ist keine Hilfe gekommen.«
    Der Sommer ist dahin, und der Tod hat seine Ernte eingefahren. Dieses Jahr waren die Erträge rekordverdächtig. Und hier sind wir nun, sicher auf dieser Ölplattform – sicher, aber nicht gerettet.
    Wir haben unsere Lebensmittel sorgfältig rationiert. Der Süßwassertank ist voll. Ich habe eine Anleitung gefunden, nach der ich im Notfall Meerwasser ansaugen kann, aber das werde ich nicht tun. Das wäre die reinste Einladung, sich mit Hamelns Rache zu infizieren. Besser kein Risiko eingehen. Wir haben die Duschen reduziert, jetzt wird nur noch alle paar Tage geduscht. Wir haben jede Menge Diesel, der Strom wird uns also lange nicht ausgehen, es sei denn, der Generator gibt den Geist auf. Am zweiten Tag haben wir einen Kühlraum entdeckt, in dem Fleisch und tiefgekühltes Gemüse eingelagert waren. Zweimal pro Woche holen wir etwas davon und tauen es auf. Ansonsten halten wir uns an die trockenen Sachen und die Konserven, und selbst die sind rationiert. Wir haben unsere Speisekarte um Vögel erweitert. Von denen gibt es jedenfalls genug. Statt Munition zu verschwenden, fangen wir sie mit Alka-Seltzer. Wir verteilen einfach eine Mischung aus Essensresten und
Alka-Seltzer, das wir bei den Medikamenten gefunden haben, draußen auf der Plattform. Die Vögel verschlingen es. Aber ihr Verdauungssystem funktioniert anders als das eines Menschen. Da sie weder rülpsen noch furzen können, bleibt das Alka-Seltzer in ihrem Magen und löst sich auf, bis der Schaum und die Gase einen Punkt erreicht haben, an dem sie sich nicht weiter ausdehnen können. Dann platzen den Vögeln die Mägen. Sobald sie tot sind, müssen wir sie möglichst schnell aufschneiden und säubern. Sonst verteilt sich der Mageninhalt im restlichen Körper und ruiniert das Fleisch. Es ist verdammt eklig, aber notwendig. Wir müssen unseren Lebensmittelvorrat so lange wie möglich erhalten, und wir können die restliche Munition nicht an die Möwen verschwenden.
    Wenn uns das Alka-Seltzer ausgeht, müssen wir uns einen anderen Weg überlegen, sie zu jagen. Vielleicht mit Netzen oder Schlingen, oder irgendwas...
    Scheiße, wem will ich hier eigentlich was vormachen? Das spielt jetzt keine Rolle mehr.
    Nichts spielt mehr eine Rolle.
    Ich habe Carol und den Kindern gesagt, dass wir lange von den Vögeln leben könnten. Und das hätten wir auch. Nachdem ihre natürlichen Feinde alle verschwunden oder tot sind – oder lebende Tote -, gibt es jetzt jede Menge Vögel. Verdammte Scheiße. Die Vögel haben die Erde übernommen.
    Ja, wir hätten überleben können, indem wir sie essen.
    Aber...

    Wenn die Kinder morgen aufwachen, werde ich ihnen sagen müssen, dass sie nicht mehr nach draußen
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