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Toter Mann

Toter Mann

Titel: Toter Mann
Autoren: Ake Edwardson
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Küchentisch schenkte er sich einen Schluck von dem besonderen Branntwein aus Schonen ein, den er aus dem Tiefkühlfach genommen hatte. Die Flasche war bereift, und der Branntwein hatte eine Konsistenz wie Sirup. In diesem Augenblick fühlte er sich gut. Er beendete die Mahlzeit, indem er noch eine Flasche Bier öffnete und sie mit zu seinem Sessel im Wohnzimmer nahm. Er trank und sah hinaus in den Garten. Fast fünfundzwanzig Jahre hatte er hier sitzen und auf den Garten hinausschauen können. In der letzten Zeit hatte er das immer häufiger getan. Er fragte sich, warum. Es war derselbe alte Garten, übrigens gar kein richtiger Garten, sondern eher ein bisschen Gras und Kies, Büsche und Bäume, die sein Holzhaus umgaben. Dasselbe alte Haus. Derselbe alte Ringmar. Nein, zum Teufel, jetzt hör auf, Bertil. Fast noch zehn Jahre wirst du in diesem tollen Dezernat verbringen. Du hast noch immer Großes vor dir. Große Verbrechen.
    Haarsträubende Erlebnisse. Spannung. Dramatik. Kurz gesagt: Action. Das ist mehr, als achtundneunzig Prozent der Bevölkerung sich erträumen können, richtige Action. Nur wir und die Verbrecher dürfen so was erleben. Das ist unsere Welt. Himmel, was der Rest der Menschheit alles verpasst. Auf die Art hält man sich jung. Physisches Training ist ein Teil des Jobs, es ist obligatorisch. Wo wäre sonst mein Bauch? Der würde wahrscheinlich schon halb in den Garten reichen. Bald bin ich sechzig. Vielleicht wäre ich schon tot oder läge im Sterben, ich mit meinen Ess- und Trinkgewohnheiten. Er erhob sich. Auf der anderen Seite der Hecke bewegte sich etwas, wahrscheinlich der verdammte Nachbar, der seine Neonbeleuchtung für Weihnachten vorbereitete. Es waren ja nur noch drei Monate bis dahin. Alles, was der Mann besaß, behängte er mit Licht. Den halben Herbst und Winter über hatte Ringmar Schlafstörungen. Er hatte mit dem Kerl geredet, aber das hatte nichts gefruchtet. Er hatte geschrien, aber das hatte auch nichts geholfen. Er hatte die Behörde eingeschaltet, oder wie zum Teufel das nun hieß, aber in dieser Scheißgesellschaft traute sich niemand, etwas zu unternehmen. Wenn man sich ruhig verhielt, konnte man auch nicht kritisiert werden. Es war besser, gar nichts zu unternehmen. Er hatte erwogen, für einen Kurzschluss bei dem Kerl zu sorgen, doch das wäre zu offensichtlich gewesen. Er ging in die Küche und nahm die Branntweinflasche aus dem Kühlschrank, als das Telefon auf der Arbeitsplatte klingelte.
    »Ja?«
    »Hallo?«, hörte er eine Stimme. Sie war weit entfernt. »Ja, hallo? Hier ist Bertil Ringmar.«
    In der Leitung war es still.
    »Hallo?«, wiederholte Ringmar.
    Es blieb still.
    Er hörte das leise Klicken, als der Telefonhörer am anderen Ende aufgelegt wurde.
    Er schaute aus dem Fenster, geradewegs in die Küche des Nachbarn. Er sah die Silhouette, als er auflegte. Ein Zufall? Nein. Dem Kerl reichte der Neon-Terror nicht.

3
    Die Fassaden auf der anderen Seite des Vasaplatsen wirkten höher denn je. Sie schienen den Himmel zu bedecken, als wollten sie alles Licht auslöschen, ein Loch füllen, das es dort, wo das Licht einfiel, immer gegeben hatte. Das Licht brauchte einen Durchlass. Winter schloss die Augen und öffnete sie wieder. Die Hausfassaden waren zusammengesackt, jetzt war mehr Himmel zu sehen, ein grauer Himmel, aber immerhin. Es war heller geworden. Wieder schloss er die Augen, doch hinter seinen Augenlidern blieb es hell. Es war ein schönes Gefühl, gleichzeitig wusste er jedoch, dass er sich nicht ganz auf seine Augen verlassen konnte, oder auf irgendetwas, das sich hinter seinen Augen befand. Das Gehirn. Darauf hatte er sich immer verlassen können. Wenn sonst nichts funktionierte, auf seine Gedanken, seine Phantasie, seine ... tja, Intelligenz oder wie man es nennen sollte, konnte er bauen. Intuition. Ein wirkliches Bewusstsein. Etwas, das er schon von Kindheit an besessen hatte, nichts, was man lernen, was einem jemand beibringen konnte. Das ihn an die Stelle geführt hatte, wo er heute war. Aber jetzt hatte sein Gehirn Schmerzen.
    »Was ist, Erik?«
    Er hörte Angelas Stimme, aber er sah sie nicht. Er hatte die Augen noch immer geschlossen. Es war noch immer hell in seinem Kopf, und es tat weh.
    »Nichts«, sagte er und drehte sich um. »Du hast eine Grimasse gezogen.« »Ach?«
    »Als ob du Schmerzen hättest.« »Hm.«
    »Hast du Schmerzen?«
    »Nur wenn ich lache.« Er lächelte.
    »Du hast schon länger nicht mehr gelacht, Erik.«
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