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Toter Mann

Toter Mann

Titel: Toter Mann
Autoren: Ake Edwardson
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rechts war das Meer, links lag der überwiegende Teil der Stadt Göteborg mit ihren Kirchturmspitzen und Umgehungsstraßen. Plötzlich erklang Phil Collins' Stimme im Radio, too many people, too many problems, this is the land of confusion, das Land der Verwirrung, j a, das ist es wahrhaftig. Er dachte an Martinas verwirrtes Gesicht. Was hatte er gesagt? Bergenhem spürte, dass er keine Kraft mehr hatte, zwischen Torslanda und dem Zentrum hin - und herzufahren und die ganze Stadt im Blick zu haben. Diese Perspektive war zu übermächtig, zu viel Himmel. Es war besser, den Blick zu senken. Martina. Ihr Blick. Was zum Teufel hatte er gesagt? Sein Kopf war ganz leer wie eine gelöschte Spur, nichts mehr drauf auf der Festplatte. In seinem Kopf schien überhaupt keine Festplatte mehr zu sein, die alles aufnehmen konnte. Er hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren, zu viele Details. Sein Blick war zu niedrig eingestellt. Martina, ich verlasse dich. Martina, ich werde dich nie verlassen. Martina, ich kann nicht länger lügen. Ich habe keine Kraft mehr, Martina. Martina, ich habe alle Kraft der Welt. Martina, ich komme spät nach Hause. Ich komme sehr spät nach Hause. Er bog von der Brücke ab, oder besser gesagt, er ließ sich in einer bogenförmigen Bewegung zu den Ampeln am Jaegerdorffsplatsen mittragen: einer der hässlichsten Plätze der Stadt, von der Oscarsumgehung zerschnitten wie die armen Stadtteile von Kungsladugård und Majorna, die zufällig im Weg gelegen hatten, als die Idioten die Schnellstraße wie eine Mauer zwischen Menschen und Fluss bauten. Zum Trost bekamen die Leute einen staatlichen Schnapsladen, aber davon profitierten überwiegend die besser Betuchten, die sich auf dem Heimweg nach Hagen, Långedrag, Askim und Hovås mit Alkoholika eindecken konnten.
    Bergenhem fuhr die Slottsskogsgatan hinauf und parkte vor der Apotheke am Mariaplan. Auf dem Weg in die Apotheke begegnete er jemandem, den er zu kennen meinte. Er wusste nicht, ob die Person ihn erkannte, aber er ging wieder hinaus, ohne etwas zu kaufen. Als er die Kungsladugårdsgatan zum Slottsskogsvallen hinauffuhr, tauchte vor seinem inneren Auge das Gesicht seiner Tochter auf. Seine Ada, bald elf Jahre alt, bald in der Pubertät. Er war bei ihrer Geburt nicht dabei gewesen. Zu dem Zeitpunkt hätte er tot sein können. Deshalb sollte er große Demut vor dem Leben empfinden, und das tat er auch, jedenfalls bildete er sich das ein. Alles andere musste besser als Dunkelheit sein. Adas Augen. Als er sich vorstellte, dass er ihr nie in die Augen hätte sehen können, begann er zu zittern. Kurz vor dem Margreteborgskreisel fuhr er an den Straßenrand und stellte den Motor ab. Dann saß er ganz still da, bis das Zittern aufhörte. Das Radio war verstummt, es war tot. Er konnte sich nicht erinnern, es ausgeschaltet zu haben.
    20.35
    Die Glocken läuteten, es musste die Kirche oben auf dem Hügel sein. Seltsam, dafür ist es eigentlich schon ziemlich spät, dachte sie. Die Geräusche waren wie Vögel am Himmel. Der Himmel war mit dem Klang überzogen, wie schwarze Wolken.
    Sie schaute auf, aber da oben waren keine Wolken.
    Sie konnte die Klippen sehen und natürlich das Meer, und die Kinder, die wie Engel über dem Boden zu schweben schienen.
    Das dachte sie. Engel.
    Wieder schaute sie hinauf, und plötzlich war der Himmel wie von einer schwarzen Wolke mit Vögeln bedeckt. Aber sie wusste, dass sie weiß waren.
    Wir schweben alle.
    Sie hob die Arme und ließ sich vom Wind davontragen über die Klippen, hinaus aufs Meer, über die Insel auf der anderen Seite des Sundes, wieder zurück, die Füße nur wenige Zentimeter über der Wasseroberfläche und wieder hinunter auf die Klippen.
    Jetzt war sie allein, ganz allein. Es gibt nur noch mich. Das hatte sie schon oft gedacht. Wenn sie es nicht mehr ertragen hatte, alles mit anzuhören. Dort zu sein. Die Schreie und die Schläge zu hören. In solchen Momenten war sie der einzige Mensch auf der ganzen Welt, hatte sich selbst dazu gemacht, das war leichter, als einsam zu sein. Wann immer sie gewollt hatte, hatte sie mit sich selbst geredet. Draußen im Regen hatte sie geredet, und es war überhaupt nicht zu sehen gewesen, dass sie die Lippen bewegte.
    Das Wasser war warm, als käme es aus einem Warmwasserhahn. Im Sommerlager kamen das warme und kalte Wasser aus zwei verschiedenen Hähnen. Mischen musste man es selber.
    Aber das Meereswasser war bereits gemischt und gesalzen. Als ob jemand Salz aus einem riesigen
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