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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
Autoren: Christine Lehmann
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mir nur so vor, weil meine Systeme immer hochfuhren, wenn etwas ungewöhnlich war? »Haben Sie keinen Schlüssel?«
    Desirée zuckte mit den Achseln.
    Kalteneck besaß eine moderne Schließanlage, wie ich bereits gesehen hatte, eine mit Schlüssel ohne Zacken, dafür mit Mulden auf zwei Seiten. Es bedeutete, dass die Sperrstifte im Zylinder in mindestens zwei Richtungen angeordnet waren und ich sie mit meinem Pickset und meinen bescheidenen Fähigkeiten nicht knacken konnte.
    »Was gibt es da drin denn so Wertvolles?«, fragte ich.
    »Daten«, antwortete Barzani. »Wir haben Tausende von Datensätzen, die, wie Sie sich leicht denken können, nicht in unbefugte Hände fallen sollten.«
    Ich schaute zu den Hängeregisterschränken.
    »Das da ist nur das historische Archiv. Unsere aktuellen Fallarchive sind natürlich digital verschlüsselt.«
    Aber um die Schere, die sich möglicherweise dort drin befand, oder die Fallakten ging es eigentlich nicht. Die Tür an sich beunruhigte, weil sie abgeschlossen war.
    »Schon versucht, den Professor anzurufen?«, fragte ich.
    Desirée nickte, was Derya mit einem Augenbrauenzucken quittierte.
    »Käme man über ein Fenster hinein?« Wir befanden uns im ersten Stock. Das Eis im Graben würde mich sicher nicht tragen. »Und gibt es ein Boot?«
    Das Sonnenscheinchen hellte sich auf. »Ja, hinterm Haus. Aber Sie bräuchten eine Leiter.«
    »Gibt es eine?«
    »Gibt es.«
    Frau Doktor war skeptisch. »Das ist viel zu gefährlich.«
    »Dann rufen Sie den Schlüsseldienst!«
    Dr. Derya Barzani strich sich das teerschwarze Haar hinters Ohr, in dessen Läppchen eine filigrane Goldrosette steckte. »Ich weiß nicht.«
    Desirée zog sich schon silberne Moonboots und ein Mäntelchen über.

3
    Die Wasserburg Kalteneck lag mit wachsamem Blick ins für heranrückende Heere geeignete Tal in einer dörflichen Wohngegend. Die Fensterläden waren rot gestrichen, die Wände weiß, das Fachwerk grau. Von der Straße gesehen, sah sie aus wie ein Altstadthaus, deshalb war ich zweimal vorbeigefahren. Erst wenn man an die Mauer herantrat, sah man den Wassergraben.
    Gegen die angrenzenden Grundstücke mit ihren verstädterten Bauernhöfen war der Graben abgezäunt. An seinen Böschungen stand Gebüsch in Winterstarre. Mit dem Festland von Holzgerlingen war die Insel der Geister nur durch einen Steg verbunden. »Institut für Grenzwissenschaften und Parapsychologie« stand auf dem Schild. Darunter die Sprechzeiten für Beratung.
    Das Boot lag hinten an einer Terrasse. Ein paar vereiste Stufen führten hinunter. Die dünne Eisdecke splitterte, als ich in die Nussschale stieg, schwarzes Wasser quoll empor. Vermutlich würde es sich rudern lassen. Nur musste man dazu Ruder haben. Wir fanden sie zusammen mit der Leiter zwischen Bierbänken und Kisten im Gewölbekeller. Ich legte die Aluminiumleiter längs und setzte mich darauf. Bei jedem Zug knackte das Eis unterm Bug. Ich ruderte unterm Steg hindurch. Straßenseitig knallte die Sonne auf die hohe weiße Wand, die mit steinernen Widerlagern verstärkt war. Die erste Reihe der Fenster lag meterhoch, an die zweite musste ich heran. Desirée hatte mir die Fenster von Rosenfelds Eckbüro gezeigt.
    Schnapsidee!
    Allein die Leiter vom Boot ins Wasser schieben, ausziehen und aufstellen, grenzte an Slapstick. Der Wassergraben war allerdings nicht tief. Ertrinken konnte man darin nur, wenn man sich platt auf den Bauch legte. Die Leiter stand ganz gut im geziegelten Grund des Grabens und reichte gerade bis an den Sims des Fensters, das ich mir ausgesucht hatte. Ich leinte das Boot an einer Sprosse an und versuchte, nicht ins Wasser zu fallen, als ich zur Leiter hinüberstieg. Wenn man knirschende und wippende Gestänge erklimmt, darf man nicht nachdenken. Schnell lag das Boot tief unten. Ich sah in die Gärten der modernisierten Dorfhäuser, auf Autodächer, auf die Straße. Hinter der Mauer war ein älteres Ehepaar neben dem fröstelnden Sonnenscheinchen stehen geblieben.
    Um durchs Fenster blicken zu können, musste ich mich an der nackten Wand abstützen. Die Sonne machte aus der Scheibe einen Spiegel, ich sah nur mein Rübengesicht und musste mit beiden Händen das Glas verschatten.
    Es leuchteten Bücherregale und Ablagen, wo die Wintersonne hinlangte. Genau vor mir, unterm Fenster, stand ein Schreibtisch. Ich blickte auf die Rückseite eines Mac-Bildschirms, Stapel wissenschaftlicher Zeitschriften, Bücher, einen Köcher mit Stiften, eine Kaffeetasse. Doch unter
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