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Totenstätte

Totenstätte

Titel: Totenstätte
Autoren: M. R. Hall
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selten lindern.
    Als die Tränen endlich versiegten, erzählte Mrs. Jamal, dass jemand von der Universität ihren Ehemann angerufen habe, der wiederum sie benachrichtigt habe, weil Nazim auch am darauffolgenden Mittwoch nicht zu seinem Tutorium erschienen war. Dabei hätte er eine wichtige Arbeit abgeben müssen. Zachariah suchte mit einigen seiner Neffen den Campus ab, doch niemand hatte Nazim oder Rafi in der vergangenen Woche gesehen. Die beiden schienen außer dem jeweils anderen keine engen Freunde gehabt zu haben. Selbst die Studenten, die in den Nachbarzimmern wohnten, hatten sie angeblich nur flüchtig gekannt.
    Die Polizei reagierte zunächst gleichgültig, so wie immer, wenn Menschen vermisst gemeldet wurden. Ein Verbindungsbeamter ging sogar so weit zu behaupten, dass die beiden eine sexuelle Beziehung miteinander eingegangen und durchgebrannt sein könnten. Mrs. Jamal kannte ihren Sohn gut genug, um zu wissen, wie unwahrscheinlich das war. Dann stellte sich heraus, dass die Laptops und Handys der beiden fehlten. Der Polizist, der ihre Zimmer durchsuchte, fand Hinweise darauf, dass beide Türen gewaltsam geöffnet worden waren, möglicherweise mit einem breiten Schraubenzieher. Und dann, fast eine Woche später, meldete sich die Studentin Dani James bei der Polizei. Sie wohnte im Nachbargebäude und erzählte, dass sie gegen Mitternacht des 28. Juni gesehen habe, wie ein Mann in einem unförmigen Anorak aus Manor Hall geeilt sei, eine Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen. Ihrer Aussage nach hatte er einen Rucksack oder eine Art Reisetasche über seine Schulter geworfen.
    Obwohl beide Familien sich beschwerten, war die Polizei nicht geneigt, Ermittlungen einzuleiten. In ihrer Verzweiflung schrieb Mrs. Jamal an die Vertreter im Stadtrat und im Parlament, als sie plötzlich von zwei jungen Männern Besuch bekam, einem Weißen und einem Indopakistaner. Sie behaupteten, für die Geheimdienste zu arbeiten, und erklärten, dass Nazim und Rafi sich mit der Hizb ut-Tahrir eingelassen hätten und von der Polizei beim Besuch einer radikalen halaqah beobachtet worden seien.
    »Das war das erste Mal, dass ich davon hörte, obwohl ich so etwas schon geahnt hatte«, sagte Mrs. Jamal. »Aber ich hatte es nicht wahrhaben wollen. Die beiden stellten eine Frage nach der anderen. Sie konnten nicht glauben, dass ich nicht wusste, was Nazim am College getrieben hatte. Sie haben mir gewissermaßen unterstellt, dass ich lüge, um ihn zu schützen.«
    »Was dachten sie denn, wo er abgeblieben ist?«
    »Sie haben mich immer wieder gefragt, ob er davon gesprochen habe, nach Afghanistan zu gehen. Und ob er die Al-Qaida erwähnt habe. Ich sagte, dass er das nicht getan habe. Niemals. Nie.«
    »Sie dachten, er und Rafi könnten ins Ausland gegangen sein, in ein Trainingslager der Extremisten?«
    »Das haben sie behauptet. Aber sein Pass lag immer noch in der Wohnung seines Vaters.«
    »Und der von Rafi?«
    »Der besaß noch nicht mal einen. Außerdem hat man alle Bankvorgänge geprüft, aber nichts Verdächtiges gefunden.«
    »Hat einer der beiden nach dem 28. sein Bankkonto oder seine Kreditkarte benutzt?«
    »Nein. Sie sind einfach verschwunden. Spurlos.«
    Jenny spürte, wie die Angst anschwoll, ein Gefühl von geistiger Enge, mit dem sich die Panikattacken stets ankündigten. Sie atmete tief durch, entspannte ihre Arme und Beine und hoffte, dass das Gefühl vorübergehen würde. »Was wissen Sie sonst noch über die Ermittlungen?«
    »Zwei Wochen später hat ein Mann namens Robert Donovan gegenüber der Polizei ausgesagt, dass er am Morgen des 29. Juni mit dem Zug nach London gefahren sei. In seinem Waggon habe er zwei junge Indopakistaner gesehen, auf die ihre Beschreibung zutreffe. Er hat behauptet, beide hätten Bärte gehabt und traditionelle Gewänder getragen. Die Abschrift seiner Aussage befindet sich auch in der Mappe. Sie hat die Polizei zu der Überzeugung gebracht, dass Nazim und Rafi ins Ausland gegangen sein müssen, und sie haben erneut mit den Studenten gesprochen. Ein Mädchen namens Sarah Levin behauptete, sie habe Nazim mal etwas über Brüder sagen hören, die nach Afghanistan gehen.« Mrs. Jamal schüttelte energisch den Kopf. »Das hätte er nicht getan, Mrs. Cooper. Ich kenne meinen Sohn. Das hätte er niemals getan.«
    Jenny dachte an Ross, den sie im letzten Sommer von der Schule hatte abholen müssen, weil er sich mit Cannabis zugedröhnt hatte. An seine unberechenbaren Launen und seine verletzenden
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