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Totenprinz - Westendorf, C: Totenprinz

Totenprinz - Westendorf, C: Totenprinz

Titel: Totenprinz - Westendorf, C: Totenprinz
Autoren: Christine Westendorf
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Kinderkleidung, wärmenden Decken und jeder Menge Wegzehrung vollgeladene Bollerwagen sehen konnte. Orte, an denen man beobachten konnte, wie es war, wenn drei Generationen ein und derselben Sippe darüber stritten, wer die sperrigen Holzgefährte denn nun von einem Fleck zum nächsten weiterbefördern sollte. Und obwohl es doch wunderbar war, drei Generationen einer Familie ihre Zeit miteinander verbringen zu sehen, kam bei Amanda keine rechte Freude auf.
    Max wählte Plätze wie zum Beispiel einen Streichelzoo als Ausflugsziel aus, ein Wildtiergehege oder ab und an auch einen Abenteuerspielplatz, wenn dieser am Rand eines Waldes gelegen war. Von allen Orten liebte er Wildparks jedoch am meisten. Einmal waren sie sogar hunderte von Kilometern mit dem Auto gefahren, um bei der Eröffnung eines solchen dabei zu sein. Sie waren
so weit gefahren, um dann doch nur wieder im Vertrauten anzukommen.
     
    Womit vertrieben sich eigentlich glückliche Familien ihre Zeit?
    Nachdem sie vor dem Eingang des Wildparks geparkt hatten, stieg Amanda aus dem Wagen und schulterte den Rucksack mit dem Tagesproviant. Max achtete nicht weiter auf sie. Er ging mit Klara an der Hand bereits einige Schritte vor Amanda her, um seiner Tochter das Verhalten von Steinböcken näherzubringen, vor deren Umzäunung sie kurze Zeit später ankamen. Max wusste viel über alle möglichen Tierarten, zum Beispiel auch, warum Steinböcke so gut klettern konnten. Während er nun weiter dozierte, bis in welche Höhen man diese Tiere antreffen konnte, wobei er nicht die Meterhöhe über dem Meeresspiegel zu erwähnen vergaß, setzte sich Amanda auf eine dem Gehege gegenüberliegende Bank. Während sie von fern noch immer Max’ brummenden Bass hörte, sah sie den Kindern, Eltern und Großeltern einer Sippe dabei zu, wie diese ihre für die freilaufenden Tiere mitgebrachten Gemüseabfälle auf den Spazierwegen verteilten. Und anschließend, wie sich eine Rotte Hängebauchschweine über die rohen Kohlrabischalen hermachte. Als schließlich eines der Schweine würgte und dann unter Krämpfen zusammenbrach, zog die Großfamilie schnell weiter. Ja, all das war im Eintritt inbegriffen, und genau in diesem Augenblick kam Max zu Amanda herüber und legte seinen Arm um sie.
    »Es ist einfach schön, Natur so unmittelbar zu erleben«, sagte er.

    Jeden Samstagabend studierte Max alle Werbeanzeigen der Regionalzeitungen, um herauszufinden, welches Ziel sich als Nächstes für einen Ausflug lohnen könnte. Vor ihrer Zeit mit Max war Amanda an den Samstagabenden meistens mit Freundinnen zum Tanzen in eine Bar oder ins Kino gegangen. Nun machte sie es sich im Wohnzimmer neben Max gemütlich und stellte den Ton des Fernsehers so leise, dass die Lautstärke ihren Mann nicht allzu sehr störte. Sie beobachtete Max dabei, wie er eine Anzeige ankreuzte oder auch mit seinem wiederauffüllbaren, silbernen Kugelschreiber unterstrich. Legte er die Zeitungen schließlich beiseite, nahm er die Fernbedienung des Fernsehers zur Hand und stellte den Ton lauter. Auch jetzt empfahl es sich nicht, Max anzusprechen, denn er wirkte noch immer abwesend und abweisend. Er schmatzte, und so kam es Amanda vor, als würde er auf den gerade gelesenen Ausflugsmöglichkeiten herumkauen wie damals die Hängebauchschweine im Park auf ihren Kohlrabischalen.
    Jeden Montagabend begann Max dann seine mittlerweile ausgeschnittenen Werbeanzeigen neu zu sortieren. Solche, die aus der ersten Runde in die nächste weitergekommen waren, wurden von ihm in leuchtenden Farben markiert. Dabei machte er sich das Ampelsystem zunutze, ging jedoch umgekehrt vor. Entsprechend seiner Prioritätenliste stand die Farbe Grün für »ich weiß noch nicht«. Orange für »das könnten wir irgendwann mal machen« und Rot für »das liegt an«. Jeden Mittwochabend nahm Max den roten Stapel zur Hand, um das Ziel auszuwählen, das sie am darauffolgenden Wochenende gemeinsam besuchen würden.

    Auch wenn ihr Max’ Vorgehensweise manchmal seltsam und kompliziert erschien, ließ Amanda es sich nicht anmerken. Schließlich kümmerte er sich um die Familie und nahm ihr damit eine Entscheidung ab. Und Amanda war nicht gut darin, Entscheidungen zu treffen.
    Früher hatte Amanda die gemeinsamen Ausflüge meist noch genossen. Wenn sie allerdings im Nachhinein daran dachte, wie es inmitten all dieser anderen glücklichen Familien gewesen war, hatte sie nachträglich noch ein pelziges Gefühl auf der Zunge.
    »Alles Mutanten«, dachte sie
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