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Totenpfad

Totenpfad

Titel: Totenpfad
Autoren: Elly Griffiths , Tanja Handels
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zehntausend Jahren war unsere Insel noch mit dem Kontinent verbunden. Man hätte von hier zu Fuß bis nach Skandinavien gehen können.»
    «Im Ernst?»
    «O ja. King’s Lynn war früher einmal ein großer Gezeitensee. Das ist auch die Bedeutung des Wortes ‹Lynn›: Es ist das keltische Wort für ‹See›.»
    Nelson dreht sich zu ihr um und mustert sie skeptisch. Der Wagen gerät gefährlich ins Schlingern. Ruth fragt sich, ob er wohl glaubt, sie hätte sich das ausgedacht.
    «Und was war da, wo jetzt das Meer ist?»
    «Ebenes Sumpfland. Wir vermuten, dass unser Henge am Rand eines Moores errichtet worden ist.»
    «Scheint mir trotzdem ein komischer Ort für so was.»
    «Sumpfgebiete waren in der prähistorischen Zeit von großer Bedeutung», erläutert Ruth. «Sie sind so etwas wie symbolische Landschaften. Wir vermuten, dass sie deshalb so wichtig waren, weil sie Land und Wasser in sich vereinen. Oder auch Leben und Tod.»
    Nelson schnaubt verständnislos. «Hä?»
    «Nun, ein Sumpf ist kein Festland, er ist aber auch kein Gewässer, sondern eine Mischung aus beidem. Wir wissen, dass Sümpfe für den prähistorischen Menschen von großer Bedeutung waren.»
    «Und woher wissen wir das?»
    «Weil wir entsprechende Gegenstände im Randgebiet von Sümpfen gefunden haben. Votivgaben.»
    «Votivgaben?»
    «Opfergeschenke an die Götter, die an heiligen Stätten dargebracht wurden. Manchmal auch Leichen. Sie haben doch sicher schon von Moorleichen gehört? Vom Lindow-Mann beispielsweise?»
    «Kann sein», antwortet Nelson zögernd.
    «Leichen, die in torfhaltigem Boden begraben wurden, sind meist fast vollständig erhalten. Und es gibt Forscher, die glauben, dass diese Toten absichtlich im Moor beigesetzt wurden, um die Götter gnädig zu stimmen.»
    Nelson wirft ihr einen weiteren Blick zu, sagt aber nichtsmehr. Sie nähern sich jetzt dem Salzmoor, von der unteren Straße her, die direkt zum Besucherparkplatz führt. Ein paar einsame, windgepeitschte Tafeln informieren über die verschiedenen Vögel, die im Sumpfgebiet anzutreffen sind. Ein geschlossener Kiosk bewirbt Eissorten, deren leuchtende Farben bereits verblasst sind. Man kann sich kaum vorstellen, dass Leute hier Picknick machen und ihr Eis in der Sonne genießen. Der Ort scheint wie gemacht für Wind und Regen.
    Der Parkplatz ist leer, bis auf einen einsamen Streifenwagen, dessen Insasse aussteigt, als er sie kommen sieht. Er wirkt verfroren und schlecht gelaunt.
    «Doktor Ruth Galloway», stellt Nelson sie vor. «Detective Sergeant Clough.»
    DS Clough nickt trübsinnig, und Ruth hat den Eindruck, dass es nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen zählt, sich stundenlang auf einem windgepeitschten Moor herumzutreiben. Nelson hingegen kann es offenbar kaum abwarten, er tritt sogar ein wenig auf der Stelle wie ein Rennpferd, das die Galoppbahn schon vor Augen hat. Er geht voraus auf den Kiesweg, den ein Schild als «Besucherpfad» ausweist. Sie passieren einen hölzernen Unterstand, der auf Pfeilern über dem Sumpfland thront. Bis auf ein paar Chipstüten und eine leere Coladose auf der umlaufenden Plattform ist er leer.
    Nelson bleibt nicht einmal stehen, er deutet nur im Vorbeigehen auf den Abfall und bellt: «Mitnehmen.» Ruth kann sich eine gewisse Anerkennung für seine Sorgfalt nicht verkneifen, wenn auch nicht für sein Benehmen. Offenbar hat Polizeiarbeit eine gewisse Ähnlichkeit mit der Arbeit des Archäologen. Auch sie würde alles einsammeln, was sich an einer Ausgrabungsstätte findet, und es sorgsam beschriften, um den Kontext zu erkennen. Auch sie wäre bereit, tage- und wochenlang zu suchen, immer in derHoffnung, etwas Bedeutsames zu finden. Und auch sie, das wird ihr mit plötzlichem Schaudern klar, befasst sich vorwiegend mit dem Tod.
    Ruth ist bereits außer Atem, als sie endlich an die Stelle kommen, die mit blauweißem Absperrband, wie sie es von Verkehrsunfällen kennt, gekennzeichnet ist. Nelson ist gut zehn Meter vor ihr, er hat die Hände in die Taschen geschoben und den Kopf vorgereckt, als würde er in die Luft schnuppern. Clough trottet hinter ihm her, die Plastiktüte mit dem Abfall aus dem Unterstand in der Hand.
    Hinter dem Absperrband findet sich ein nicht sehr tiefes Loch, das zur Hälfte mit schlammigem Wasser gefüllt ist. Ruth bückt sich unter der Absperrung durch und hockt sich hin, um hineinzuschauen. Im schweren Schlamm schimmern deutlich sichtbar Knochen.
    «Wie haben Sie die bloß gefunden?», fragt sie.
    Diesmal
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