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Totenpfad

Totenpfad

Titel: Totenpfad
Autoren: Elly Griffiths , Tanja Handels
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absolvieren sie deshalb nicht vor April.
    Während Ruth auf dem Flur vor ihrem Büro nach der Schlüsselkarte kramt, sieht sie aus dem Augenwinkel zwei Männer auf sich zukommen. Der eine ist Phil, der Lehrstuhlinhaber, den anderen kennt sie nicht. Ein großer, dunkler Typ mit raspelkurzem, graumeliertem Haar. Er hat etwas Hartes an sich, wirkt beherrscht und fast ein wenig gefährlich, weshalb Ruth vermutet, dass er kein Student und ganz sicher auch kein Dozent ist. Sie macht einen Schritt zur Seite, um die beiden vorbeizulassen, doch Phil bleibt zu ihrem Erstaunen vor ihr stehen und sagt mit ernster Stimme, in der die Aufregung deutlich zu hören ist: «Ruth, hier ist jemand, der dich gern kennenlernen würde.»
    Also doch ein Student. Ruth will schon ihr Willkommenslächeln aufsetzen, doch Phils nächste Worte lassen sie überrascht innehalten.
    «Das ist Detective Chief Inspector Harry Nelson. Er will mit dir über einen Mord reden.»

2
    «Einen mutmaßlichen Mord», verbessert Detective Chief Inspector Harry Nelson sofort.
    «Ja, natürlich», sagt Phil eifrig und wirft Ruth dabei einen Blick zu, der in etwa ausdrückt: «Siehst du, ich rede mit einem echten Detective!» Ruth verzieht keine Miene.
    «Das ist Doktor Ruth Galloway», fährt Phil fort. «Unsere Expertin für forensische Fragen.»
    «Freut mich sehr», sagt Nelson, ohne zu lächeln. Dann deutet er auf Ruths verschlossene Bürotür. «Können wir vielleicht   …?»
    Ruth schiebt ihre Schlüsselkarte ins Schloss und öffnet die Tür. Ihr Büro ist winzig, es misst kaum sechs Quadratmeter. Eine Wand wird komplett von Bücherregalen eingenommen, eine weitere von der Tür, die dritte von einem schmuddeligen Fenster mit Blick auf einen nicht minder schmuddeligen Zierteich. An der vierten Wand steht Ruths Schreibtisch, über dem ein gerahmtes
Indiana Jones
-Plakat hängt – rein ironisch natürlich, wie sie stets hastig versichert. Wenn Ruth hier ihre Tutorien hat, sitzt ein Teil der Studenten meist auf dem Gang, und sie hält die Tür mit einem Stopper in Katzenform offen, den Peter ihr einmal geschenkt hat. Jetzt allerdings lässt sie die Tür hinter sich zufallen. Phil und der Detective bleiben verlegen stehen und wissen nicht, wohin mit sich. Als Nelson sich mit finsterer Miene an die Fensterbank lehnt, kommt es Ruth vor, als verdunkelte sich das Zimmer. Er wirkt viel zu breit, zu groß, zu erwachsen für diesen Ort.
    «Bitte.» Ruth deutet auf die Stühle, die neben der Tür gestapelt stehen. Phil überlässt Nelson mit großer Geste den ersten Stuhl und kann sich offenbar nur knapp davon abhalten, ihn vorher noch mit dem Pulloverärmel abzustauben.
    Ruth zwängt sich hinter ihren Schreibtisch und gibt sich kurz der Illusion hin, dadurch sicherer und autoritärer zu wirken. Das hält jedoch nur so lange an, bis Nelson sich zurücklehnt, die Beine übereinanderschlägt und mit energisch-monotoner Stimme das Wort an sie richtet. Er hat einen nordenglischen Akzent, was ihn nur noch zupackender erscheinen lässt, so als hätte er schlicht nicht die Zeit für die langgezogenen Norfolk-Vokale.
    «Wir haben Knochen gefunden», sagt er. «Sieht aus, als stammten sie von einem Kind, aber sie wirken irgendwie alt. Ich muss wissen, wie alt.»
    Ruth schweigt, doch Phil mischt sich eifrig ein. «Wo haben Sie die Knochen denn gefunden, Inspector?»
    «Beim Vogelschutzgebiet. Im Salzmoor.»
    Phil sieht Ruth an. «Aber das ist ja gleich bei dir   …»
    «Ja, ich weiß», bremst ihn Ruth. «Wie kommen Sie darauf, dass die Knochen alt sein könnten?»
    «Sie sind bräunlich verfärbt, wirken aber sonst gut erhalten. Ich dachte, das ist Ihr Fachgebiet?» Sein Ton wird unvermittelt aggressiver.
    «So ist es», erwidert Ruth ruhig. «Deshalb sind Sie ja hier, nehme ich an.»
    «Können Sie mir nun sagen, ob es neuere Knochen sind, oder nicht?», fragt Nelson unvermindert streitlustig.
    «Neuere Funde lassen sich meist schnell bestimmen», sagt Ruth. «Man erkennt sie am Erscheinungsbild und an der Oberfläche. Mit älteren Knochen ist es da schon komplizierter. Oft lässt sich nicht sagen, ob sie nun fünfzig oder zweitausend Jahre alt sind. Dann muss man eine Radiokarbonanalyse durchführen.»
    «Doktor Galloway ist Expertin für das Konservieren von Knochenmaterial.» Schon wieder Phil, der vor lauter Aufregung ständig dazwischenquatscht. «Sie war sogar in Bosnien bei den Kriegsgräbern im Einsatz.»
    «Können Sie sich die Sache mal ansehen?», fragt Nelson,
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