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Totenmesse

Titel: Totenmesse
Autoren: Arne Dahl
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Skeppargatan in den Karlavägen ein, betrat die Bankfiliale und zog eine Nummer. Fünf waren vor ihr. Es würde nicht länger als zehn Minuten dauern, eine Viertelstunde, wenn es hoch kam. Zwei geöffnete Schalter. Und tatsächlich saßen fünf Personen auf den Sofas der gediegenen klimatisierten Östermalmsbank. Es fehlte nur noch ein wenig dezente Stimmungsmusik.
    Wie in der Abteilung für plastische Chirurgie.
    Ihre Gedanken machten sich selbstständig. Warum? Weil ihre Tochter morgen volljährig wurde? Weil es gewissermaßen ihr letzter Tag als Mutter war?
    Aber war das nicht ausschließlich ihr eigener Fehler? Sie hatte Paul zum Sündenbock erkoren, hatte beschlossen, alles Ungute in ihrem Leben ihm anzulasten. Sie wollte nichts als arbeiten, schlafen und mit Freundinnen verkehren, diebesser lebten als sie selbst und an deren Leben sie Anteil nehmen konnte.
    Alle anderen hatten es sowieso besser.
    Die roten Leuchtdioden blätterten zur nächsten Nummer vor, jetzt warteten nur noch vier auf den Sofas, und zwei standen an den Schaltern und ließen sich viel Zeit.
    Sie dachte an Pauls affektierte Argumentation. Was passiert mit der weiblichen Sexualität, wenn die Frau beschließt, keine Kinder mehr zu bekommen? Sie – ermüdet.
    Wenn das Geheimnisvolle verschwunden ist, ermüdet die Frau. Und wenn die Kinder geboren sind, auch. Die weibliche Sexualität existiert nur angesichts des Unbekannten. Unbekannter Mann, unbekannte Kinder. Sie hatte das natürlich abgestritten. Männlicher Chauvinismus, ganz einfach.
    Seine Worte: »Ich kenne keine einzige länger andauernde Beziehung, in der der Mann nicht irgendwann sexuell frustriert gewesen ist.«
    Es war ein Geschlechterkrieg.
    Aber im Nachhinein musste sie sich eingestehen, dass sie ihre eigene Sexualität nicht richtig verstand. Es war so unglaublich kompliziert. Jede Erfahrung war wie ein Strang in einem Netz aus Hindernissen, Kindheit, Pubertät, Erwachsensein, Elternschaft. Für ihn war es so verdammt einfach. Er wurde geil, ganz klar.
    Sigmund Freud widmete Jahrzehnte dem Bemühen, die weibliche Sexualität zu verstehen. Gegen Ende seines Lebens entrang sich ihm in einem Gespräch mit Marie Bonaparte die Frage: ›Was will das Weib?‹ Er hatte nichts verstanden.
    Aber er war ja auch ein alter Chauvi.
    Cilla griff nach ihrem Handy. Es war das denkbar jüngste Modell, komplett mit Kamera und Zoom. Sie blätterte im Adressbuch und stieß auf Paul. Wie durch Zufall. Seine Nummer bei der Arbeit, die neue Nummer bei der Sektion für Interne Ermittlungen; die Nummer seiner Wohnung auf Messer-Söder; ein Diensthandy und ein privates Handy.
    Warum hatte sie vier Nummern von ihrem Exmann?
    Und warum trug sie immer noch den Nachnamen Hjelm?
    Es machte wieder Pling im Schalterraum. Noch drei Personen vor ihr.
    Auf ihrem Handy, oberhalb von Paul Hjelms Diensthandynummer, zeigte die Uhr 10.39. Nein, sie sprang gerade um.
    Auf 10.40 Uhr.
    Was dann geschah, wollte nicht in sie hinein. Es kam ihr die ganze Zeit nicht wirklich vor.
    Die zwei maskierten Männer. Die harten Worte auf Englisch. Die Tatsache, dass sie auf den Marmorfußboden gepresst dalag. Die Plastikpakete, die an die Wände geklebt wurden. Das Brüllen der Maschinenpistolen. Das zersplitterte Glas.
    Aha, fuhr es ihr durch den Kopf. Deshalb waren die Gedanken so schnell abgerollt. Weil ich sterben soll.
    Und Cilla Hjelm war keine Staffagefigur mehr.

5
    In der Kampfleitzentrale stand ein Fernseher. Natürlich sollte dort kein Fernseher stehen. Der kleine Sitzungsraum, in dem die Spezialeinheit für Gewaltverbrechen von internationalem Charakter bei der Reichskriminalpolizei, besser bekannt unter dem Namen A-Gruppe, ihre Besprechungen abhielt, war kein Ort, an dem man fernsah.
    Aber jetzt guckten alle.
    Allerdings waren die Umstände außergewöhnlich.
    Es war Krieg in der Welt.
    Wieder einmal.
    Am Dienstag, dem 18. März, hatte der Präsident der USA, George W. Bush, dem Diktator des Iraks, Saddam Hussein, ein Ultimatum gestellt. Saddam und seine Söhne hatten 48 Stunden Zeit, den Irak zu verlassen – andernfalls wartete Krieg. Bush behauptete, es bestünden keine Zweifel daran, dass der Irak noch immer über Massenvernichtungswaffen verfüge und dass der Irak Terroristen unterstützt, ausgebildet und geschützt habe. Die USA hatten während mehrmonatiger Vorbereitungen 235
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