Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Totenmesse

Titel: Totenmesse
Autoren: Arne Dahl
Vom Netzwerk:
waren.
    Die ganze Planung, alles, was perfekt passen musste, jede Einzelheit – er ging das Szenario in Gedanken durch. Noch einmal. Ein letzter Sicherheitscheck. Die städtischen Arbeiter trödelten vorbei wie Relikte aus einer verschwundenen Zeit.
    Als hätte er davon nicht genug.
    Dann lag die Skeppargatan verlassen da.
    Der Mann mit der Uhr stieg aus dem Wagen und ging die wenigen Schritte zum Haus. Er gab den Code ein und öffnete die Tür. Es war ein prächtiges Treppenhaus, Jugendstil mit dicken Teppichen und Originalglas in den Lampen. So hatte es beim letzten Mal nicht ausgesehen. Es war viel passiert, seit er in diesem Gebäude sein dubioses Leben geführt hatte.
    Er konnte nicht umhin, diese eleganten Östermalmshäuseraus den Gründerjahren zu mögen. Was wäre Stockholm ohne sie. Trotz allem.
    Doch er wusste, dass der Müllkeller nicht so elegant war. Der Raum, in den die Müllschächte mündeten, war kein Ort, an dem sich die Wohnungsinhaber jemals aufhalten mussten. Sie brauchten nicht einmal zu wissen, dass es ihn gab. Als ob der Müll sich in nichts auflöste, sobald er in den Schacht geworfen wurde. Ein dunkler, übel riechender Raum unter der Erde, um den sich nie jemand kümmerte. Solange alles reibungslos funktionierte. Solange Arbeiter da waren, die unbemerkt die Überreste des großbürgerlichen Lebens beseitigten.
    Â»Da das Geld als der existierende und sich betätigende Begriff des Wertes alle Dinge verwechselt und vertauscht, so ist er die allgemeine Verwechselung und Vertauschung aller Dinge, also die verkehrte Welt, die Verwechselung und Vertauschung aller natürlichen und menschlichen Qualitäten.«
    Der Mann mit der Uhr stieß ein kurzes Lachen aus; fast kam ein Ton über seine Lippen. Die Erinnerung spielt dem Menschen so manchen Streich. Karl Marx’ ökonomisch-philosophisches Manuskript aus Paris, 1844. Die Worte, die sich festsetzten, bevor alles zu Dogmen und zum Vorwand für Machtmissbrauch und Gewalt wurde.
    Ein Anflug von Unbehagen, dann sah er sich wieder um. Er ging eine halbe Treppe abwärts, stellte die Tasche vor einer Tür auf den Boden, wühlte zwischen Laptops, Kuhfüßen, Brecheisen und Hämmern, angelte einen kleinen Apparat heraus und steckte die Spitze des Apparats ins Schloss. Ein kurzes, dumpfes Brummen ertönte, und dann klickte es. Er öffnete die Tür, glitt hinein und zog sie hinter sich zu. Als wäre er nie da gewesen.
    Der Keller war einigermaßen stilgerecht, ein armer Vetter des Jugendstiltreppenhauses. Geruch nach Erde und ländlicher Vergangenheit. Im Hintergrund eine weitereTür, äußerst schäbig. Der Mann mit der Uhr ging hin und wiederholte die Prozedur mit dem Apparat.
    Er war im Müllraum. Nicht einmal hier roch es besonders unangenehm. Entweder wurden die Mülltonnen häufig geleert, oder selbst der Müll der Reichen roch besser als der anderer Leute.
    Er duckte sich hinter eine Mülltonne und versetzte sich in den Wartezustand. Sein Puls sank, sein Atem wurde langsamer, die Gehirnaktivität näherte sich dem Minimum an, jede Bewegung hörte auf. In der guten alten Zeit hatte er diesen Zustand für eine Form des Vegetierens gehalten. Eine extreme Passivität, die eine extreme Aktivität ankündigte. Ein Sonnenblumensamen in der Wintererde.
    Das war lange her. Die Zeiten waren andere.
    Die Minuten vergingen. Der Mann mit der Uhr saß vollkommen still. Sein Körper erinnerte sich an alles. Hierfür war er geschaffen. Der Rest war Beiwerk. Der Rest war die Scheiße.
    In seinem Körper tickte eine innere Uhr. Er hätte sich auf sie verlassen können. Sie ging immer richtig.
    Aber das tat die Armbanduhr auch. Sie war das Einzige außerhalb von ihm, das nie trog.
    In dieser trügerischsten aller Welten.
    Er betrachtete das perlmuttweiße Zifferblatt. Der fadendünne Sekundenzeiger tickte langsam zwischen den Zahlensymbolen an der linken Seite nach oben.
    Sieben, acht, neun, zehn.
    Das Leben, dachte er. Was daraus wurde.
    Er sah das Bild einer blonden Frau mit einem Tragegestell vor der Brust. Sie blickte über eine blaue Meeresbucht.
    Eins, zwei, drei, vier.
    Es war Donnerstag, der 20. März, und die Uhr zeigte exakt 10.40 Uhr.

4
    Staffagefigur. Ein seltsames Wort.
    Es kommt aus dem Deutschen und wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts ins Schwedische übernommen. Es bezog sich damals auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher