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Totenkuss: Thriller

Totenkuss: Thriller

Titel: Totenkuss: Thriller
Autoren: Uta-Maria Heim
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des Malte Laurids Brigge

     

Sonntag, 4. Mai

     
    # O Nacht ohne Gegenstände

     
    Das Einfamilienhaus lag in der Nähe des
Waldsaums nicht weit vom Dornhaldenfriedhof. Es stand geschützt in einer
Einfahrt vor der Kehre, wo die Stäffele nach Heslach hinunterführten. Das
flache Dach und die rechteckigen Fenster verrieten, dass der geräumige Bungalow
in den sechziger Jahren gebaut worden war. Das kleine Grundstück war von hohen
Hecken umsäumt und nirgendwo brannten Laternen. Trotz Halbhöhenlage gab es
keinen Ausblick auf den Stuttgarter Kessel. Der Nachthimmel wurde nicht von
künstlichen Lichtquellen verschmutzt. Nur schwach leuchteten einzelne Sterne.
Die Schwärze war schier undurchdringlich. Es war beinahe Neumond und eine grashalmfeine
Sichel ritzte den Himmel.
    Gegen ein Uhr war das letzte Auto den Berg hochgefahren und
abgebogen am Eck auf die Dornhalde. Seitdem war es still. Nirgendwo raschelte
ein Igel, und die Vögel hatten noch nicht zu singen begonnen. Das einzige
Geräusch kam von einer Katze, die vom Boden auf den schmalen Sims sprang und im
offenen Klofenster verschwand. Die Nacht war fast lau, es war das erste warme
Wochenende gewesen in diesem Jahr. Vorn an der Straße blühten schon bald die
Kastanien. Tags hatten die Nachbarn im Liegestuhl gelegen und am Abend roch es
nach Holzkohle.
    Man konnte das angrenzende Grundstück schlecht einsehen, doch
der Garten ging ebenfalls nach Süden hinaus, dem Wald zu. Das Haus stand wie
dieses mit dem Rücken zur Stadt. Nebenan wohnte ein älteres Paar, das einen
kläffenden Hund hatte, einen Terrier. Der war intelligent, beharrlich, auf
hündische Weise unbeirrbar. Er besaß einen untrüglichen Jagdinstinkt. Den
ganzen Abend hatte er auf der Terrasse gestanden und gebellt, und die Frau
hatte sich bei den Gästen entschuldigt, die spitze Lacher ausstießen, während
der Mann Mengen von Grillgut auf den Rost legte. Nachdem der Hund drinnen
endlich verstummt war, lag der Nachhall seines Bellens noch eine Weile in der
Luft.
    Tagsüber wirkte das weißgetünchte Haus kalt, aber friedlich.
Es strahlte eine zivilisierte Sicherheit aus. Der Hausherr, der es vor bald 50
Jahren hatte bauen lassen, war Arzt gewesen oder Architekt. Oder Steuerberater.
Davon zeugte die dunkle Stelle auf dem Putz, seitlich neben dem Eingang. Das
Schild war abmontiert worden. Inzwischen hatte er vermietet, verkauft oder
vererbt, er war senil, dement oder schon unter dem Boden. Nichts deutete darauf
hin, dass seine Frau oder Witwe hier noch lebte; allem Anschein nach bewohnte
nur ein einzelner Mann mittleren Alters die große eineinhalbgeschossige
Wohnung.
    Nachts verlor die Wohngegend ihre Gediegenheit; sie vergaß
ihr Versprechen von gutbürgerlichem Wohlsein. Aus der heilen Welt wurde eine
unheilvolle Randlage, eine abseitige Struktur, die überaltert war und schon
bessere Zeiten gesehen hatte. Unversehens fand man sich wieder in einer
schutzlosen, verlorenen und trostarmen Umgebung, voller Selbstzweifel und
Brüche, inmitten einer schleichenden, stummen Verwahrlosung. Die verkrüppelte
Weide an der Einfahrt fing an zu flüstern. Sie sang tonlos ein garstiges Lied,
bei dem es um Liebe und Tod ging, um die Toten, die keine Ruhe fanden. Aber
niemand hörte auf sie. An der Mauer, die an der Wetterseite Moos angesetzt
hatte, lehnte ein schwarzes Peugeot-Rad. Das Haus, das Schonung versprach,
verwandelte sich in eine Falle.
    Hinter dem Haus, der Stadt zu, stand ein Schuppen. Darin
lagerten Gartengeräte, Schubkarren, Fahrräder, alte Spielzeuge, Leitern.
Unterhalb des Ziegeldachs war ein Holzboden eingezogen. Dort oben hatten früher
Kinder Verstecken gespielt. Man roch noch ihren Schweiß, man hörte noch ihr
Kichern, das aus zugepressten Mündern platzte. Der Stauraum war leer, der Boden
staubig und verdreckt. Eine Latte war locker, ansonsten war das wurmstichige
Holz stabil. Durch das Giebelfenster hatte man einen direkten Blick ins
Wohnzimmer, wo ein Laptop stand und in die Nacht leuchtete.

     
    »Anita?«
    »Mama!?«
    »Ich weiß, es ist spät. Wie geht es dir? Was macht Bonnie?«
    »Sie schläft. Uns geht es gut.«
    »Wart ihr beim Hans?«
    »Ja, das ganze Wochenende. Wir sind erst um halb zehn
zurückgekommen.«
    »Ich mache mir Sorgen.«
    »Es ist alles in Ordnung.«
    »Ich habe geträumt, dass ein Verrückter auf dich schießt.«
    »Auf mich schießt schon keiner.«
    »Du bist noch so jung.«
    »Das ist relativ,
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