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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult
Autoren: Ines Eberl
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übervollen Uferpromenade. Bunte Sonnenschirmchen spendeten Schatten auf den Café-Terrassen, vor denen Schwäne in der Hoffnung auf Kuchenreste im Wasser kreuzten.
    Daneben lag die Halbinsel von Abersee. Durch den Föhn schien alles so nahe, dass Marie direkt gegenüber, am anderen Ende des Wolfgangsees, Strobl erkennen konnte. St.   Wolfgang dagegen lag verborgen hinter dem Schafberg, dessen schiefe Form sie als Kind immer an einen umfallenden Kegel erinnert hatte. Mit ihrer Schulklasse war Marie in der alten Dampfeisenbahn bis zur Schafbergalpe hinaufgefahren. Wenn sie die Augen zusammenkniff, konnte sie die kleine weiße Rauchwolke der Lokomotive sehen, die gerade die sanft ansteigende Südseite hinaufschwebte. Zu Maries Linken überragte der Falkenstein die Bucht von Fürberg, auf der die spitzen bunten Segel der Surfer hin und her schossen. Ein weißes Ausflugsschiff legte gerade vor dem Gasthof »Fürberg« ab und nahm Fahrt in Richtung Strobl auf.
    Marie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Vielleicht sollten Roland und sie den Nachmittag bei einer knusprigen Forelle und einem Glas Sauvignon Blanc auf der Terrasse des »Fürberg« beschließen. Wenn es dort überhaupt noch Platz gab. Sie beschirmte ihre Augen mit der Fingerhutrispe und spähte zum Gasthof hinüber. Das Gewimmel am Schiffsanleger ließ nichts Gutes ahnen.
    Etwas weiter hinten, in Richtung Schafberg, hatte man seit ihrem letzten Besuch ein Stück Wald gerodet. Ein kleines Schloss, eher noch ein Ansitz, erhob sich zwischen den verbliebenen alten Bäumen über dem See. Das musste das Schloss sein, von dem die Maklerin erzählt hatte. Irgendein Museum, meinte Marie sich zu erinnern.
    Sie machte ein paar Schritte bis zum Wassersaum und linste zwischen den Schilfhalmen auf das Nachbargrundstück. Wenn sie sich ein wenig vorbeugte, konnte sie dort ein verwittertes Holzhäuschen mit Veranda erkennen, halb verborgen hinter blühenden Hortensien. Ein Steg mit rissigen Bohlen führte von einem mit Löwenzahn gesprenkelten Rasen in den See. Der Steg durchstieß den Schilfgürtel und malte dunkelgrüne Linien auf das glitzernde Wasser. Am Steg lehnte das Segel eines Surfers. Das weiße Plastikbord dümpelte auf den Wellen. Die Maklerin hatte gesagt, das Häuschen werde an Sommergäste vermietet.
    Marie ging in die Hocke und beugte sich über das gekräuselte Wasser. Aus der grünen Tiefe schien ihr Spiegelbild herauf. Das wie Opal schimmernde Antlitz war umrahmt von hellen Haaren, es zerfloss im Spiel der Wellen und fand immer wieder erneut zusammen. Wie ein Wassergeist, dachte Marie. Oder nein, lieber wie eine Nixe.
    »Spieglein, Spieglein an der Wand …«, murmelte sie und sah, wie sich der Mund im Wasser bewegte.
    Du bist wunderschön, schmeichelte die Nixe. Noch immer die Frau, wie Roland sie haben will. Marie musterte das schmale Gesicht im Spiegel des Wassers. Die kleine Nase, die zarten Lippen und das schulterlange Haar. Ricardo hatte genau die blonden Strähnchen hingekriegt, die ihr auch mit achtunddreißig Jahren noch das Aussehen eines kalifornischen Beachgirls geben sollten. Auf keinen Fall sah sie zu alt für ein Baby aus. Wenn sie Roland von einem Kind nicht überzeugen konnte, würde sie ihn eben damit überraschen.
    Marie betrachtete ihr Ebenbild im See. Sie war so schlank wie nie zuvor. Ja, raunte die Nixe, deswegen sieht man auch deine Falten so. Marie warf den Fingerhut auf die Nixe. Das Gesicht zerrann in kleinen Wellen. Von irgendwo kam das helle Kichern eines Mädchens. Hastig stand Marie auf und rieb ihre vom Blumensekret klebrigen Handflächen aneinander.
    Hinter ihr knirschte es auf dem Kiesweg. Marie schloss die Augen und holte tief Luft. Dann setzte sie ein strahlendes Lächeln auf und wandte sich um.
    »Hallo, Schatz, hier bin ich.«
    Roland duckte sich unter den Weidenzweigen hindurch und kam lässig, die Hände in den Hosentaschen, über den nassen Ufersand zu ihr geschlendert. Das weiße Hemd ohne Krawatte und die eleganten Maßschuhe standen in reizvollem Kontrast zu der wilden Natur um ihn herum. Roland wirkte immer wie aus einem Modemagazin entsprungen. Feine Fältchen in den Winkeln seiner blauen Augen ließen auf Humor schließen, und die grauen Schläfen wirkten seriös. Er gehörte zu den wirklich schönen Männern, die ihr Haar niemals färben würden. Er stand zu seinen fünfzig Jahren, und das machte ihn jünger. Es war einfach ungerecht.
    Direkt neben Marie blieb er stehen. Mit zusammengekniffenen
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