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Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage
Autoren: Harry Bingham
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Küche.
    Ich stehe auf.
    » Mrs Rattigan, entschuldigen Sie die Verspätung.«
    » Ach, das macht nichts.«
    Das Internet hat mir verraten, dass Mrs Charlotte Frances Rattigan vierundvierzig Jahre alt ist, zwei Kinder im Teenageralter hat und ein ehemaliges Model ist. Man sieht ihr nur Letzteres an. Sie trägt eine hellgraue Bluse über einer hellen Leinenhose und Sandalen. Sie hat schulterlanges blondes Haar und schöne Haut ohne viel Make-up. Und sie ist groß, fast eins achtzig plus die paar Zentimeter Absatz.
    Natürlich ist sie sehr attraktiv, aber das ist es nicht, was mich verblüfft. Sie hat etwas Ätherisches, Verklärtes an sich. Das weckt sofort mein Interesse. Ich frage Miss Edelstahl, ob sie uns wohl kurz alleine lassen könnte, und nachdem sie ihrer Chefin einen Blick zugeworfen hat, verlässt sie den Raum.
    Ich starre Mrs Rattigan mit einem unnachgiebigen, professionellen und sehr polizeimäßigen Lächeln an.
    » Madam, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für mich nehmen. Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen. Reine Routine, trotzdem eine wichtige Angelegenheit.«
    » Natürlich. Ich verstehe.«
    » Bitte verzeihen Sie, dass diese Fragen Ihren verstorbenen Ehemann betreffen. Für daraus entstehende Unannehmlichkeiten möchte ich mich bereits vorweg entschuldigen. Es ist eine reine Routineangelegenheit und …«
    Sie unterbricht mich. » Natürlich. Ich verstehe.«
    Ihre Stimme ist betont weich. Ich zögere. Nichts an dieser Situation rechtfertigt eine barsche oder unwirsche Herangehensweise, aber ich kann einfach nicht widerstehen und spüre, wie sich meine Stimme verhärtet.
    » Kannte Ihr Mann eine Frau namens Janet Mancini?«
    » Mein Mann …?« Sie verschluckt den Rest und zuckt mit den Schultern.
    » Bedeutet das Nein oder Ich weiß nicht ?«
    Ein weiteres Schulterzucken. » Also, nicht dass ich wüsste. Mancini? Janet Mancini?«
    » Kommen Ihnen diese Adressen bekannt vor?«
    Ich zeige ihr mein Notizbuch. Die erste Adresse ist die des Tatorts. Die zweite ist die von Mancinis Wohnung.
    » Nein, tut mir leid.«
    » Die zweite Adresse ist hier in Butetown. Wissen Sie, ob Ihr Mann in dieser Gegend geschäftlich zu tun hatte? Jemanden besucht hat?«
    Kopfschütteln.
    Die Quantenphysik lehrt uns, dass der Vorgang der Beobachtung die Realität verändert. Dasselbe gilt für Polizeiermittlungen. Mrs Rattigan weiß, dass ich als Detective Constable Nachforschungen über einen Mord anstelle. Ihre abweisende Art, die mich so neugierig macht, könnte auch mit meinem Beruf oder meinem Anliegen zu tun haben. Miss Edelstahl hat die dampfende Cafetière neben uns abgestellt. Mrs Rattigan hat mir keinen Kaffee angeboten, also übernehme ich das.
    » Möchten Sie einen Kaffee? Darf ich?«
    » Oh ja, bitte. Verzeihung.«
    Ich fülle nur eine Tasse, nicht zwei.
    » Wollen Sie keinen?« Ihre erste freundliche Reaktion, wenn man es denn so bezeichnen will.
    » Ich trinke keinen Kaffee.«
    Sie nimmt ihre Tasse zu sich, trinkt aber nicht. » Ist auch besser so. Ich sollte auch darauf verzichten.«
    » Madam, ich habe noch einige weitere Fragen an Sie. Ich bitte Sie, mir die Wahrheit zu sagen. Wenn Ihr Mann irgendwann etwas getan hat, von dem wir, nun, keine Kenntnis haben sollten, so liegt das in der Vergangenheit und ist für die gegenwärtigen Ermittlungen nicht von Bedeutung.«
    Sie nickt. Sie hat haselnussbraune Augen und helle Augenbrauen. Ich habe mich, was dieses Anwesen angeht, geirrt: Natürlich ist jeder Quadratzentimeter davon durchdesignt, aber der Innenarchitekt hat tatsächlich etwas von der Person eingefangen, die ihn beauftragt hat. Naturtöne und schlichte Eleganz. So könnte man sowohl das Haus als auch die Erscheinung seiner Bewohnerin beschreiben.
    » Hat Ihr Mann jemals Drogen genommen?«
    Die Frage lässt sie zusammenzucken. Sie schüttelt den Kopf, sieht nach unten und nach links. Die Kaffeetasse ist in ihrer rechten Hand. Wenn sie wirklich Rechtshänderin ist, lässt der Links-nach-unten-Blick auf eine unaufrichtige Antwort schließen.
    » Kokain vielleicht? Ein paar Lines mit Geschäftspartnern?«
    Sie schaut mich erleichtert an. » Ab und zu vielleicht. Ich weiß nicht … was er getan hat, wenn er auf Reisen war …«
    » Nein, natürlich nicht«, beruhige ich sie. » Viele Geschäftsleute tun das, das ist nichts Außergewöhnliches. Aber Sie wollten keine Drogen im Haus haben, das ist nur verständlich.«
    » Die Kinder, Sie verstehen.«
    So etwas Ähnliches hat sie bestimmt auch zu ihm
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