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Totengrund

Totengrund

Titel: Totengrund
Autoren: Tess Gerritsen
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versuche, mich irgendwie durchs Studium zu mogeln. Hänge ständig auf Partys rum und komme morgens nicht aus den Federn. Aber du – du warst so zielstrebig , Maura. Du wusstest genau, was du wolltest.«
    »Und deswegen habe ich einschüchternd gewirkt?«
    »Sogar ein bisschen furchterregend. Weil du irgendwie alles voll im Griff hattest, im Gegensatz zu mir.«
    »Ich wusste gar nicht, dass ich diese Wirkung auf andere hatte.«
    »Die hast du immer noch.«
    Sie dachte über seine Bemerkung nach. Dachte an die Polizisten, deren Gespräche stets verstummten, wenn sie einen Tatort betrat. Sie dachte an die Weihnachtsfeier, bei der sie sich so verantwortungsbewusst auf ein einziges Glas Sekt beschränkt hatte, während alle anderen sich hatten gehen lassen. Ihre Mitmenschen würden Dr. Maura Isles niemals betrunken oder lärmend oder unbesonnen erleben. Sie würden immer nur sehen, was sie ihnen zu sehen gestattete. Eine Frau, die sich unter Kontrolle hatte. Eine Frau, die ihnen Angst machte.
    »Es ist ja nicht so, als ob es ein Charakterfehler wäre, zielstrebig zu sein«, verteidigte sie sich. »Nur so erreicht man etwas in dieser Welt.«
    »Und genau deshalb hat es wohl so lange gedauert, bis ich irgendetwas erreicht habe.«
    »Du hast doch den Sprung auf die Uni geschafft.«
    »Ja, zu guter Letzt. Nachdem ich zwei Jahre lang herumgegammelt und meinen Daddy damit fast in den Wahnsinn getrieben hatte. Ich habe als Barkeeper in Baja gearbeitet. Habe in Malibu Surfunterricht gegeben. Habe zu viel Hasch geraucht und Unmengen schlechten Wein getrunken. Es war fantastisch.« Er grinste. »Dr. Isles hätte diesen Lebenswandel kaum gutgeheißen.«
    »Sagen wir, ich hätte es selbst nicht gemacht.« Sie nahm noch einen Schluck Wein. »Jedenfalls damals nicht.«
    Er zog eine Augenbraue hoch. »Soll das heißen, jetzt würdest du es tun?«
    »Menschen ändern sich, Doug.«
    »Ja, schau mich an! Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich eines Tages ein dröger Rechtsmediziner sein würde, eingesperrt im Keller eines Krankenhauses.«
    »Und wie ist es dazu gekommen? Was hat deine Verwandlung vom Strandhippie in einen ehrbaren Arzt bewirkt?«
    Sie unterbrachen ihr Gespräch, als der Ober den Hauptgang brachte – gebratene Ente für Maura und Lammkoteletts für Doug. Sie ließen die obligatorische Pfeffermühlen-Zeremonie über sich ergehen, und erst nachdem der Ober ihnen nachgeschenkt und sich entfernt hatte, beantwortete Doug ihre Frage.
    »Ich habe geheiratet«, sagte er.
    Sie hatte keinen Ehering an seinem Finger bemerkt, und es war das erste Mal, dass er irgendetwas von einer Beziehung erwähnte. Jetzt hob sie überrascht den Kopf, doch er erwiderte ihren Blick nicht, sondern starrte zu einem anderen Tisch hinüber, wo eine Familie mit zwei kleinen Mädchen saß.
    »Wir haben von Anfang an nicht zueinandergepasst«, gab er zu. »Wir hatten uns bei einer Party kennengelernt. Eine umwerfende Blondine, blaue Augen, Beine bis in den Himmel. Sie hatte gehört, dass ich mich für einen Studienplatz in Medizin beworben hatte, und sie sah sich schon als reiche Arztgattin. Was sie sich nicht klargemacht hatte, war, dass sie an den Wochenenden, an denen ich im Krankenhaus Bereitschaft hatte, zu Hause hocken würde. Bis ich meinen Facharzt für Rechtsmedizin in der Tasche hatte, hatte sie schon einen anderen gefunden.« Er schnitt ein Stück von seinem Lammkotelett ab. »Aber ich durfte Grace behalten.«
    »Grace?«
    »Meine Tochter. Dreizehn Jahre alt und genauso hinreißend schön wie ihre Mutter. Ich hoffe nur, dass ich sie dazu bewegen kann, eine etwas intellektuellere Richtung einzuschlagen als ihre Mutter.«
    »Was macht deine Exfrau jetzt?«
    »Sie hat wieder geheiratet – einen Banker. Sie leben in London, und wir können froh sein, wenn wir zweimal im Jahr von ihr hören.« Er legte sein Besteck hin. »Und so wurde ich zum alleinerziehenden Vater. Jetzt habe ich eine Tochter, eine Hypothek und einen Job am Klinikum der Veterans Association in San Diego. Was will man mehr?«
    »Und bist du glücklich?«
    Er zuckte mit den Achseln. »Es ist nicht das Leben, das ich mir vorgestellt hatte, damals in Stanford, als ich auf den Dächern rumgeturnt bin und Ninja gespielt habe. Aber ich kann mich nicht beklagen. Das Leben ist, wie es ist, und man stellt sich darauf ein.« Er schenkte ihr ein Lächeln. »Aber du Glückliche hast ja genau das erreicht, was du dir vorgenommen hattest. Du wolltest immer schon Rechtsmedizinerin werden,
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