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Totengrund

Totengrund

Titel: Totengrund
Autoren: Tess Gerritsen
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Zorn zu zeigen.
    Das Läuten der Schulglocke rief die Schüler aus der Pause zurück. Er stand da und versuchte, sich zu beruhigen, indem er tief durchatmete. Er konzentrierte sich auf den Duft des frisch gemähten Grases, des Brots, das in der nahen Gemeinschaftsküche gebacken wurde. Von der anderen Seite der Siedlung, wo der neue Gebetssaal gebaut wurde, waren das Kreischen einer Säge und das Echo von Dutzenden von Hämmern, die Nägel einschlugen, zu vernehmen. Die gottgefälligen Geräusche ehrlicher Arbeit, verrichtet von einer Gemeinschaft, die zum größeren Ruhme des Herrn wirkte. Und ich bin ihr Hirte, dachte er; ich weise ihnen den Weg. Und wie viel sie schon erreicht hatten! Man musste sich nur in dem blühenden Dorf umschauen, die vielen neuen Häuser betrachten, die aus dem Boden schossen, um zu erkennen, dass die Gemeinde sich prächtig entwickelte.
    Endlich öffnete er das Tor und trat in den Schulhof. Er ging am Raum der Erstklässler vorbei, die gerade das ABC-Lied sangen, und betrat das Klassenzimmer der Mittelstufe.
    Die Lehrerin sah ihn und sprang überrascht von ihrem Pult auf. »Prophet Goode, welch eine Ehre!«, sprudelte sie hervor. »Ich wusste gar nicht, dass du uns heute besuchen wolltest.«
    Er lächelte, und die Frau errötete, entzückt über seine Aufmerksamkeit. »Schwester Janet, es ist doch nicht nötig, so viel Aufhebens um mich zu machen. Ich wollte nur einmal vorbeischauen und deine Klasse begrüßen. Und sehen, ob auch alle das neue Schuljahr genießen.«
    Strahlend wandte sie sich an ihre Schüler. »Ist es nicht eine Ehre , dass Prophet Goode uns persönlich besucht? Lasst uns ihn alle gemeinsam willkommen heißen!«
    »Willkommen, Prophet Goode«, antworteten die Schüler im Chor.
    »Kommt ihr denn alle gut voran im neuen Schuljahr?«, fragte er.
    »Ja, Prophet Goode.« Wieder kam die Antwort wie aus einem Mund, so perfekt, als hätten sie sie einstudiert.
    Er entdeckte Katie Sheldon in der dritten Bank. Und er bemerkte auch, dass der blonde Junge, der mit ihr geflirtet hatte, fast direkt hinter ihr saß. Langsam begann er, im Klassenzimmer auf und ab zu gehen. Er betrachtete die Zeichnungen und Aufsätze der Schüler, die an den Wänden hingen – als ob er sich tatsächlich dafür interessierte –, nickte wohlwollend und lächelte. Dabei galt seine ganze Aufmerksamkeit Katie, die sittsam an ihrem Pult saß, die Augen niedergeschlagen, wie es sich für ein wahrhaft anständiges Mädchen ziemte.
    »Ich möchte euren Unterricht nicht stören«, sagte er. »Bitte fahrt da fort, wo ihr gerade wart. Tut so, als wäre ich gar nicht hier.«
    »Äh, ja.« Die Lehrerin räusperte sich. »Schlagt bitte euer Mathematikbuch auf Seite zweihundertdrei auf und bearbeitet die Aufgaben Nummer zehn bis sechzehn. Wenn ihr fertig seid, besprechen wir die Lösungen.«
    Während die Stifte kratzten und das Papier raschelte, schlenderte Jeremiah durch das Klassenzimmer. Die Schüler waren zu eingeschüchtert, um ihn anzusehen, und hielten den Blick starr auf ihre Pulte gerichtet. Das Thema war Algebra, ein Gebiet, mit dem er sich nie näher hatte befassen mögen. Er blieb neben dem Pult des blonden Burschen stehen, der so auffallendes Interesse an Katie bekundet hatte, und als er ihm über die Schulter schaute, sah er den Namen, der vorne auf dem Aufgabenheft stand. Adam McKinnon. Ein Unruhestifter, den er sich irgendwann würde vorknöpfen müssen.
    Er ging weiter zu Katies Pult, blieb stehen und sah auch ihr über die Schulter. Nervös kritzelte sie eine Antwort aufs Papier und radierte sie gleich wieder aus. Dort, wo ihre langen Haare sich teilten, blitzte ihr bloßer Nacken auf, und die Haut verfärbte sich tiefrot, als hätte sein Blick sie verbrannt.
    Er beugte sich herab, atmete ihren Duft ein, und Hitze durchflutete seine Lenden. Es gab nichts Köstlicheres als den Duft, den die Haut eines so jungen Dings ausströmte, und der Duft dieses Mädchens war der süßeste von allen. Durch den Stoff ihres Mieders konnte er gerade eben ihre knospenden Brüste ausmachen.
    »Gräm dich nicht zu sehr, meine Liebe«, flüsterte er. »Ich war auch nie besonders gut in Algebra.«
    Sie blickte auf, und das Lächeln, das sie ihm schenkte, war so berückend, dass es ihm geradezu die Sprache verschlug. Ja. Kein Zweifel, dieses Mädchen ist die Richtige.
    Blumen und bunte Bänder schmückten die Bänke und hingen von den hohen Deckenbalken des neu erbauten Gebetssaals herab. So viele Blumen waren es, dass
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