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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel
Autoren: C Fischer
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Oktober, immer wenn etwas in Ihnen Maurits Scheffer wird«, soufflierte der Commissaris und dachte daran, was Doktor Menardi gesagt hatte: Wenn es so weit ist, werden Sie nicht glauben können, dass darin der Schlüssel zu all seinen Taten liegt, so verstiegen wird es Ihnen vorkommen. Für ihn jedoch ist es vollkommen zwangsläufig, denn in seinem Kopf ist das Verstiegene das Logische. »Was ich aber immer noch nicht verstehe«, fuhr Van Leeuwen fort, »ist Folgendes: Für einige der Morde haben Sie ein Alibi, die können Sie gar nicht begangen haben, vor allem einigeder weiter zurückliegenden nicht. Sie waren nicht einmal in der Nähe der Tatorte. Das haben unsere Ermittlungen ergeben, und das bringt uns zu Doktor van der Meer als Täter. Aber wenn es angeblich so viele Menschen gab, die Ihrer und seiner Hilfe bedurften – wieso hat auch er sich auf den sechsundzwanzigsten September und den dritten Oktober beschränkt?«
    Jacobszoon beugte sich vor; er wippte auf den Zehenballen, ohne seine Knie loszulassen. Er sah in Van der Meers Gesicht hinab. »Klaas hat sich nicht beschränkt«, sagte er und blinzelte, als tauchte er gerade wieder aus der Erde auf. »Er wusste gar nicht, wie man das macht. Erst jetzt, als es um seine Klinik ging …«
    Van Leeuwen spürte sein Handy in der Brusttasche vibrieren, holte es jedoch nicht heraus. »Unsere Ermittlungen haben aber ergeben, dass die Opfer des Plastiktütenmörders immer an diesen beiden Tagen getötet wurden.«
    »Dann haben Sie einen Fehler gemacht bei Ihren Ermittlungen«, erwiderte Jacobszoon ernsthaft. »Vielleicht lag es daran, dass Sie die ganze Zeit über dachten, es gäbe nur einen. Und als Sie bei dem einen ein Muster erkannt hatten, haben sie nur noch nach diesem Muster geschaut, nur noch Fälle aufgenommen, die da hineinpassten, und alle anderen ignoriert.«
    Man übersieht immer etwas.
    »Das heißt, neben den Fällen, die wir schon kennen, neben all den Menschen, die jedes Jahr an diesen beiden Tagen starben, gibt es da draußen vielleicht noch mehr? Noch mehr Leichen, noch mehr unentdeckte Morde?«
    »Ich weiß nicht, wie viele Sie kennen«, erklärte Jacobszoon. »Ich kann mich selbst nicht an alle erinnern. Aber wahrscheinlich haben Sie recht. Ja, wahrscheinlich gibt es noch mehr. Noch viel, viel mehr.«
    Das Handy hörte auf zu vibrieren, und Van Leeuwen dachte, dass er Jacobszoon nun über seine Rechte belehren, ihm Handschellen anlegen und die anderen rufen sollte, damit den Vorschriften Genüge getan wurde und weil er müde war. Er fragte: »Sie wissen wahrscheinlich, was jetzt passiert?«
    »Ja«, sagte Jacobszoon. »Wissen Sie es auch?«
    Ehe der Commissaris erfasste, was geschah, griff Jacobszoon nach der Zellophantüte neben Van der Meers Hand, und mit einer schnellen Bewegung streifte er sie sich über den Kopf, und während diese Bewegung noch schemenhafte, verrissene Streifen über Van Leeuwens Netzhaut zog, hatte Jacobszoon schon die Rolle Klebeband gepackt, hatte einen Streifen von der Rolle gelöst, hatte den Streifen gegen den Rand der Tüte gepresst und hielt ihn dort mit einer Hand fest, während die andere die Rolle mit einer weiteren schnellen Bewegung im Kreis um seinen Kopf herumführte, immer wieder um den Kopf, bis das Plastikband, die Tüte und sein Hals wie fest miteinander verschmolzen waren.
    Der Commissaris sah Jacobszoons Gesicht unter der Tüte. Er sah, während die Hand die Rolle noch um den Kopf führte, wie das Zellophan sich erst blähte und dann nach innen gesogen wurde, wie es knitterte und von innen beschlug. Er hörte es rascheln und knistern und das reißende Geräusch, mit dem sich das Klebeband von der Rolle löste, und durch die Tüte vernahm er das hohle Geräusch von Jacobszoons schnellen, keuchenden Atemstößen. Er sah die Hände, die Muskeln, die sich unter der Haut spannten, und er sah die weit aufgerissenen Augen, die Lippen, an denen das Zellophan hing, die Zähne, die Nase unter dem schimmernden Material, die Haare, die an den Schädel gepresst wurden.
    Van Leeuwens Finger glitten ab. Sie rutschten immer wieder ab. Sie fanden keinen Halt an der glatten Tüte und dem Klebeband. Er konnte Jacobszoon nicht festhalten. Er brauchte zwei Hände, aber er hatte nur eine. Er sah das Gesicht unter der glänzenden zweiten Haut, es lächelte verzerrt, eine zuckende Grimasse. Er packte Jacobszoons Hals, versuchte, ein Loch in das Zellophan zu beißen und die Tüte mit den Zähnen vom Kopf des Erstickenden zu
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