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Tote Männer Milch (German Edition)

Tote Männer Milch (German Edition)

Titel: Tote Männer Milch (German Edition)
Autoren: Simone Malina
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Menschen können, denen das rationale Bewusstsein, diese Zensurbehörde gutbürgerlichen Lebens, irgendwo zwischen Kümmernis und Hoffnungslosigkeit abhanden gekommen ist. Es tat ihr gut, sich einer höheren Instanz anzuvertrauen. Ihr Herz auszuschütten. Ein bisschen mit dem Schicksal zu feilschen. Ihm detaillierte Tauschangebote zu machen. Nein, sie wollte ja gar nichts geschenkt haben. Sie war sich bewusst, dass die geheime Macht für ihre Wünsche ein angemessenes Opfer verlangte. Aber da war zugleich die Angst, nicht erhört zu werden. Sich als einfältige Bittstellerin lächerlich zu machen, und womöglich noch als Verrückte zu gelten, die ein Vogelhaus für einen Briefkasten für dämonische Postdienstleistungen hielt.
     
    Isolde lächelte und betrachtete den Raben, dem das Gefieder wie Pech im Sonnenlicht glänzte. Sie bewunderte die Art wie der Vogel auf dem Ast saß. Jene erhabene Gleichgültigkeit, wie sie nur Rabenvögel vortäuschen konnten.
    „Mephisto!“, rief Isolde und streckte ihren linken Arm aus.
    Der Rabe folgte dem Ruf, breitete seine Schwingen aus und landete mit geräuschvollem Flügelschlag auf Isoldes Schulter.
     
    Vor vier Jahren hatte Isolde dem Vogel das Leben gerettet. Gerade noch rechtzeitig glückte es ihr, das Rabenküken aus den Krallen von Nachbars Katze zu befreien. Es war schwer verletzt. Mit Herzblut und Geduld gelang es Isolde, den kleinen Unglücksraben aufzupäppeln. Seitdem wich ihr der Rabe nicht mehr von der Seite, selten von der Schulter. Eine Marotte, die Isolde nicht gern duldete, da der Rabe dazu neigte, an diesem Platz seine Notdurft zu verrichten.
     
    „Ich hab was Leckeres für dich“, lockte Isolde. Sie ließ den Raben auf ihren Handrücken hüpfen und setzte ihn anschließend auf dem Rand des Eimers ab. Lächelnd sah sie ihm zu, wie er sich eine Schnecke nach der anderen aus dem Schleimergrab herauspickte.
    „Die hättest du dir auch selbst fangen können. Da hätte ich mir die Schinderei ersparen können“, beklagte sie sich. „Außerdem hast du viel bessere Augen als ich.“
    Das ernste Gespräch zwischen Frau und Vogel wurde plötzlich gestört. Isolde vernahm Stimmen. Ein komplizenhaftes Kichern. Werde ich beobachtet? Machte sich jemand über sie lustig? Nein, sie sah niemanden. Misstrauisch äugte Isolde zum Nachbargrundstück hinüber, gut verborgen hinter der angrenzenden Thujenhecke. Sie war sich sicher, dass es nur von da drüben kommen konnte, dieses Kichern, das sich nun mit einer anzüglichen Nuance wiederholte. In geduckter Haltung schlich Isolde die Büsche entlang und spähte an einer kahlen Stelle hindurch. Direkt in Nachbars Garten, direkt auf das Schwimmbecken. Doch was sie sah, ließ sie zurückzucken. Sie hatte damit gerechnet, neue Nachbarn zu sehen, wahrhaftig, das hatte sie. Schließlich konnte ihr gestern der große Möbelwagen kaum entgangen sein, der noch am Abend vor der Villa stand, nicht der erste des Tages. Wenn man mal davon absah, dass die Herrschaften ihr Umzugsgeschäft an einem Sonntag verrichten mussten, hatte soweit alles seine Ordnung. Und dass Isolde trotz ihres Feldstechers nicht genau erkennen konnte, welcherlei Habseligkeiten die sonntäglichen Fuhren bargen, war auch nicht weiter tragisch. Sie hätte ja beim Ausladen mit anpacken und sich somit einen Überblick über den Wohngeschmack der Ankömmlinge verschaffen können. Es wäre nicht verkehrt gewesen zu wissen, wer oder was sich da einnistet: Kultivierte Spießer oder halbseidenes Gesindel. Jetzt war Isolde schlauer. Die Frau, die da nackt und mit gegrätschten Beinen auf ihrem beleibten Hinterteil klebte, war mit Sicherheit nicht viel älter als Isolde. Ende Vierzig, wenn nicht gar Anfang Fünfzig. Aber das war auch schon alles, was es in der ersten Schrecksekunde an Gemeinsamkeiten zu erhaschen gab. Erst beim zweiten Blick, stellte Isolde fest, dass ihre neue Nachbarin noch über andere Qualitäten verfügte – nicht bloß über Schamlosigkeit. Die Dame verfügte über eine beträchtliche Oberweite und einer glatt rasierten Scham – auch nicht unbedingt Isoldes Naturell.
    Was Isolde am heftigsten fuchste: Das Weib hatte ein Mannsbild bei sich. Kein Schönling, eher ein drahtiges Gestell, in seiner grazilen Art einem Grashüpfer nicht ganz unähnlich. Er schien trotz seiner körperlichen Reizlosigkeit, immerhin, ein einfühlsamer Kerl zu sein, der sich mit viel Liebe zum Detail um die Belange dieser Weibsperson kümmerte. Zärtlich ölte er ihren Rücken
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