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Tote Männer Milch (German Edition)

Tote Männer Milch (German Edition)

Titel: Tote Männer Milch (German Edition)
Autoren: Simone Malina
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kann ja nun vor dem schwarzen Mann nicht einfach davonlaufen, weil er doch seit seinem Schlaganfall im Rollstuhl sitzt.
    Margit zuckte nur pikiert mit der Schulter:
    „Ich lebe nur einmal“, hat sie gesagt, ihre Schultern gestrafft und die kerzengerade Haltung der strikten Chorleiterin eingenommen.
    Isolde nickte zustimmend und ergänzte, dass das eigene Leben viel zu kurz sei, als dass man sich allzu viel Gedanken um die Leben anderer machen sollte.
    Doch Margit hatte da schon wieder ihren abwesenden Blick, mit dem sie jetzt so oft zum Fenster hinausblickte, als ob sie von hier aus tief nach Süden schauen könnte.
    „Übrigens“, begann sie unvermittelt zu sprechen.
    Isolde war eigentlich schon auf dem Sprung, hatte sich verabschiedet, voll Vorfreude, sich daheim bei einer Tasse guten Bohnenkaffees – sie sagte das immer so, als gäbe es anderen – Margits finstere Zukunft mit Rudi, dem Rollstuhlmann und auswärtigem Neger auszumalen.
    „Der Alfonso, der hat noch einen Bruder...“
    Margits erwartungsvoller Blick ruhte auf Isoldes hochrotem Kopf. Isolde schluckte hörbar. Sie hatte Mühe, den drängenden Unterton in Margits Stimme zu verdauen.
    „Ist der genau so schwarz?“, stieß Isolde glucksend hervor und strich sich einen imaginären Fussel vom Kleid.
    „Hast du etwa was gegen Farbige?“ Margit hatte sich aufgerafft und sich vor Isolde aufgebaut.
    „Nein ... nein“, beteuerte Isolde im Brustton der Überzeugung. „Ich denke nur, je schwärzer desto...“
    „Leidenschaftlicher!“, vervollständigte Margit mit fiebrigen Augen.
    „Man kann sich auch in seiner Leidenschaft verlieren“, widersprach Isolde zaghaft.
    „Damit hat man weniger verloren, als wenn man seine Leidenschaft verloren hat“, setzte Margit dagegen.
    „Ja, aber das ist das Problem. Ich bin doch eher eine...“
    Isolde suchte nach dem richtigen Wort. Eine andere Bezeichnung für bodenständig, das schwebte ihr vor.
    „Du gehörst nun mal nicht zu den Frauen, die nur an einem Stieleis zu lutschen brauchen, um den Männern zu einem dritten Standbein zu verhelfen“, half Margit ihr auf die Sprünge, begleitet von einem spöttischen Blick.
    Da war Isolde der gleichen Meinung. Aber dafür hatte sie andere Qualitäten. Sie hielt sich für selbstbewusst und unternehmungslustig. Schließlich nahm sie aller vier Jahre als polnische Edelfrau am Landshuter Hochzeitszug teil. Soweit musste es Margit erst mal bringen. Bei diesem historischen Event durfte Margit bloß als Magd teilnehmen. Keine Glanzrolle, ganz am Ende des prunkvollen Trosses einen Holzkarren voll mit lebendigem Federvieh hinter sich herzuziehen. Wogegen Isolde hocherhobenen Hauptes, mit einer goldbestickten Schleierhaube, an der Spitze des Hochzeitszugs an der Seite eines stattlichen Edelmanns dahin schreiten durfte und sich von Schaulustigen mit Blütenblättern bewerfen ließ. Außerdem durfte sie an dem anschließenden Hochzeitsschmaus und allen damit verbundenen Festivitäten auf der Burg Trausnitz teilhaben. Grund genug, Margit Paroli zu bieten. Aber so weit kam es nicht. Margit erstickte Isoldes aufkeimenden Widerspruch mit einer wegwerfenden Handbewegung.
    „Papperlapapp, du weißt nicht, was dir entgeht! Welch Wonnen, welch Glücksgefühl, welch Leidenschaft!“ Margit sagte es mit Pathos. Und mit dem Wortschatz der Chorleiterin. Mit einem so melodramatischen Ausdruck im Gesicht, dass Isolde sie mit großen Augen bestaunte – bis Margit abrupt unterbrach, ihre Arme, in die Hüfte stemmte und mit dem nüchternen Satz abschloss:
    „Du wirst noch an mich denken…“
     
    Jetzt hatte sie erreicht, was sie wollte, dachte Isolde verzagt. Als Zaungast durfte sie nun an den wollüstigen Wonnen, Leidenschaften, Glücksgefühlen oder wie das Zeugs so alles hieß, teilhaben. Wer hätte gedacht, dass sich Margits Prophezeiung so rasch bewahrheiten würde. Zufall? Oder hatte sich Margit zur Voodoohexe gemausert? Wenn überhaupt, kam nur eine schicksalhafte Fügung infrage, die jedes Detail, was zu einem Ergebnis beiträgt, zu einer Geschichte zusammenknüpft. Aber wessen Geschichte? Isoldes? War sie nicht schon längst erzählt? Ad acta gelegt und staubte im Archiv der Tragödien als drittklassiges Trauerspiel vor sich hin? Oder gab es wohlmöglich einen Neuanfang? Gern hätte sie diesen Gedanken zu Ende gesponnen. Mit allerlei Visionen und Träumen zu einem provisorischen Netz verwoben. Aber das aufreizende Stöhnen aus Nachbars Garten hatte sich zu einem atemlosen
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