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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen
Autoren: B Akunin
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Gefährt, das augenblicklich anfuhr. Ein offener Schlitten setzte sich dahinter, worin die beiden Herren saßen, die Fandorin schon kannte.
    Der Staatsrat wartete noch einen Moment, dann stieß er einen rüden Pfiff aus, und sein Ruf gellte über den Platz:
    »Hüh, Faultier! Hopp-hopp!«
    Der Fuchs schüttelte die Mähne, so daß die Schelle am Hals klingelte, und trabte munter los.
     
    Die Fahrt ging zum Nikolaus-Bahnhof.
    Dort verließ Posharski eilends die Kutsche, ordnete seinen Blumenstrauß und rannte, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Bahnhofstreppe hinauf. Die »Schutzengel« folgten im üblichen Abstand.
    Nun stieg auch der falsche Fuhrmann aus seinem Schlitten. Im Spazierschritt näherte er sich der Kutsche, ließ neben ihr einen Handschuh fallen, bückte sich. Blieb in der Hocke. Sah sich verstohlen um und schlug plötzlich, miteinem so blitzartigen Fauststoß, das man es kaum sah, gegen die Aufhängung einer der Stahlfedern. Die Kutsche erbebte, ging leicht in die Schräge. Der Kutscher beugte sich beunruhigt vom Bock, konnte jedoch nichts Verdächtiges feststellen, da Fandorin sich längst wieder aufgerichtet hatte und anderswohin sah.
    Kurz darauf saß er wieder in seinem Schlitten. Mußte mehrere vom Petersburger Zug kommende Fahrgäste zurückweisen, darunter ein überaus lukratives Angebot: nach Sokolniki für einsfünfundzwanzig.
    Posharski kam nicht allein zurück, sondern mit einer höchst reizenden jungen Dame, die das Gesicht in dem Rosenstrauß barg und ein glückliches Lachen hören ließ. Auch der Fürst war kaum wiederzuerkennen: Sein Gesicht erstrahlte in Sorglosigkeit und Frohsinn.
    Nun faßte ihm die schöne Frau gar mit der freien Hand um die Schultern und küßte ihn auf den Mund – so ungestüm, daß seine Marderfellmütze zur Seite rutschte.
    Unwillkürlich schüttelte Fandorin den Kopf. Die Launen der menschlichen Natur waren grenzenlos. Wer hätte gedacht, daß dieser beutegierige Petersburger Karrierist zu solch romantischem Gebaren fähig war. Nur: Was hatte dies alles mit der KG zu tun?
    Kaum hatte der Fürst seine Gefährtin in der Kutsche plaziert, als diese rechterseits mit einem heftigen Ruck absackte und damit ihre Fahrtüchtigkeit, für jedermann erkennbar, einbüßte.
    Dies war der Moment, da Staatsrat Fandorin seine Mütze tief in die Stirn zog, den Kragen hochschlug, verwegen die Peitsche knallen ließ und hurtig am Ort des Malheurs vorfuhr.
    »Ein fe-e-ederleichtes Schlittchen aus Wladimir zu EurerVerfü-ü-ügung!« schmetterte er im Falsett – keine Ähnlichkeit mit seiner normalen Stimme. »Empfehle Platz zu nehmen, Euer Wohlgeboren, ich fahr dich und deine Mamsell, wohin’s beliebt, und das fast ganz umsonst: ein Rubelchen und ein halbes. Und höchstens noch ein viertelstes für den Zucker zum Tee!«
    Posharski musterte flüchtig den zudringlichen Bewerber, dann die Schieflage der Kutsche.
    »Gut. Du bringst das Fräulein zur Lubjanskaja ploschtschad«, sagte er und dann, an die Dame gewandt: »Ich steige bei meinen Knappen ein und fahre zum Twerskoi. Dort warte ich auf Nachrichten.«
    Das reizende Wesen, während es im Schlitten Platz nahm und sich die Bärenhaut über die Knie zog, sagte auf französisch: »Aber ich bitte dich um eines,
chéri
: Keine Polizeimanöver, keine Spitzeleien. Er kriegt alles mit.«
    »Du kränkst mich, Julie«, entgegnete Posharski in derselben Sprache. »Habe ich dich jemals hereingelegt?«
    Fandorin riß an den Zügeln und ließ sein Pferdchen durch die Kalantschewka Richtung Sadowo-Spasskaja traben.
    Das Fräulein schien guter Laune zu sein: Erst summte sie irgendein Liedchen ohne Worte, dann trällerte sie etwas von einem roten Sarafan und einem Mädchen, das noch nicht heiraten will. Sie hatte eine zarte, wunderbar melodische Stimme.
    »Lubjanskaja!« verkündete Fandorin. »Wohin jetzt, die Dame?«
    Sie drehte den Kopf suchend nach hie und nach da. »Er fällt mir auf die Nerven mit seiner ewigen Konspiration!« brummelte sie verdrossen, dann laut zum Kutscher: »Weißt du was? Fahr mich einfach noch ein Weilchen im Kreis.«
    »Hm-hm!« machte der Staatsrat und fuhr gehorsam Schleifen um den zugefrorenen Springbrunnen und den Droschkenstand.
    In der vierten Runde kam plötzlich ein Mann in schwarzem Mantel vom Bürgersteig gelaufen und sprang geschickt auf den fahrenden Schlitten auf.
    »He-he, ich werd dir was!« blökte der falsche Kutscher und schwenkte die Peitsche gegen den Eindringling. »Diese Räuber werden immer
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