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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber
Autoren: Heinrich Steinfest
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an Ihrem Kopf wirklich interessiert. Man hält Sie für einen Zufallstäter, für einen Kleinbürger, der auch einmal an das große Geld wollte. Glauben Sie mir, gerade schlechtbezahlte Polizisten haben dafür das allergrößte Verständnis. Aber die Angelegenheit ist … nun, sie ist delikat. Deutsche Industriellentöchter in Österreich entführen, ich bitte Sie, das geht einfach nicht. Ich bringe es gleich auf den Punkt. Man will wissen, wo Ihre Kompagnons diese Sarah Hafner versteckt halten. An einem Prozeß, an einer Verurteilung Ihrer Person besteht nicht das geringste Interesse. Sie wären ja nicht der erste Verbrecher, der frei herumläuft. Das hält eine Gesellschaft schon aus. Die Presse weiß nichts von der Entführung. Und die Familie Hafner würde sich bei einem glücklichen Ausgang aus der Sache heraushalten. Das sind vernünftige Leute. Im Prinzip ist dem Deutschen die Rache fremd. Wirklich. Sie sehen, der Spielraum ist beträchtlich. Im Grunde, Herr Vavra, müßten Sie sich einzig damit begnügen, Ihr altes Leben erneut aufzunehmen. Einen Rückfall hält der zuständige Psychologe für unwahrscheinlich.«
    »Tut er das?«
    »Sie sind verbittert. Verständlich. Aber sehen Sie Ihre Chance. Ein kleines, bescheidenes Leben. Ein ehrbarer Bürger sein. Das ist nicht die Hölle. Das ist besser als schlechtes Essen, schlechte Umgebung, schlechte Bücher.«
    Grisebach hatte in das Regal gegriffen und Duden: Richtiges und gutes Deutsch herausgezogen, in welchem er nun blätterte, erneut kopfschüttelnd. Dann warf er den Band neben die Schreibmaschine wie ein totgeschlagenes Tier und sah wieder zu Vavra.
    »Also?«
    »Sie wollen, daß ich gestehe.«
    »Gottchen, guter Mann, ich will, daß Sie hier als freier Mensch herauskommen. Das wird uns aber nicht gelingen, wenn Sie unentwegt das Unschuldslamm markieren. Sie hätten nichts davon, würde ich Sie dabei unterstützen, Ihre Tat zu verdrängen. Wie stellen Sie sich das vor? Soll ich auf den Tisch klopfen und darauf bestehen – Indizien hin oder her –, mein Mandant sei ein guter Mensch, Opfer unglaublichster Schnitzer, und ich, sein Anwalt, ein gläubiger Thomas, stehe eisern hinter seiner behaupteten Schuldlosigkeit? Und dann marschieren Sie dennoch für den Rest Ihres Lebens hinter Gitter. Und meine Kollegen fragen mich, ob ich verrückt geworden bin. Ich habe einen Ruf zu verlieren.«
    Grisebach nahm sich einen Stuhl, setzte sich neben Vavra, legte ihm die fleischige Hand auf die Schulter, zwinkerte sozusagen von Mann zu Mann, in diesem Moment nicht mehr Anwalt, sondern Zeitgenosse, Freund, Priester. Sprach mit weicher Stimme. Der eigentümlich faltige Sack unter seinem Kinn zitterte.
    »Vavra, Menschenskind! Ich kann doch verstehen, wie Ihnen zumute ist. Zuerst denkt man nur ans Geld. Wer denkt nicht daran? Sie sind ein braver Mann, Sie schuften, zahlen Steuern, trennen Ihren Müll, sparen, spielen ein bißchen Lotto, anständiger kann man gar nicht sein, und müssen zusehen, wie einige aufgeblasene Kretins Millionen machen, indem sie ein paar Hundert Leute freisetzen und so was dann Wirtschaftskompetenz nennen. Sie werden wütend, wenn Sie sehen, wie unverschämt da getrickst, spekuliert, betrogen, wie da gehurt wird, werden wütend, wenn Sie etwas von wohlerworbenen Privilegien hören, von irrwitzigen Mehrfachbezügen, wenn Sie die Scheckbetrüger im Parlament sehen, wenn Sie an steinreiche Deutsche denken, die ganze Landstriche in Besitz nehmen. Und dann sagen Sie sich, daß der Anstand einen ja auch nicht davor bewahrt, irgendwann im Grab zu landen. Sie wollen auch einmal im Ritz logieren, die kurzen Gehwege zwischen Lifts und Limousinen in Maßschuhen bewältigen, die Weiber an den geschenkten Perlenketten ins Bett führen, den Winter im Whirlpool verpennen, vielleicht sogar arbeiten, Aktienschieberei und ähnliche Beschwerlichkeiten. Gottchen, vielleicht wollen Sie auch bloß Ihre Schulden bezahlen. Wer denkt nicht einmal daran, damit zu drohen, Babynahrung zu vergiften? Wer denkt nicht an Postraub und Versicherungsbetrug? Und an Entführung. Viele träumen, und ein paar nehmen ihr Schicksal in die Hand. Und dort wird es dann dreckig, das Schicksal. Daß diese Leute scheitern, liegt in der Natur der Sache. Laien eben. Zum Verbrecher muß man geboren sein. Eine Frage des Talents. Und man darf auch nicht glauben, man könnte sich von einem Tag zum anderen echte Skrupellosigkeit einverleiben. Einfach ein Kind entführen und dann auch noch gut schlafen.
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