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Tore in der Wüste

Tore in der Wüste

Titel: Tore in der Wüste
Autoren: Roger Zelazny
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konnte.
    Er duckte sich, als wolle er angreifen, überlegte es sich jedoch wieder anders und wich zurück.
    Ich zog mich hoch. Ich stand.
    Ich sah ihm nach. Er blieb erst wieder stehen, als er das äußerste Ende des Rechtecks erreicht hatte, auf dem wir uns befanden. Dann ging ich zur nächsten Ecke, er wich in die entfernteste zurück. Ich ging eine Seite hoch, er die andere hinab. Ich blieb stehen. Er blieb stehen. Wir sahen einander an.
    „Na schön“, sagte ich und zündete mir eine Zigarette an. „Über kurz oder lang wirst du verlieren. Die Burschen dort unten schlafen nämlich auch nicht, wie du dir denken kannst. Sie werden um Verstärkung bitten. Bald wird jeder Fluchtweg abgeriegelt sein. Ich wette sogar, bald wird jemand mit einem Helikopter hier ankommen, mit einem Infrarotsuchgerät und einem Gewehr. Ich hielt es in auswegslosen Situationen immer für besser einzulenken, anstatt vorsätzlich in mein Unglück zu rennen. Ich bin sowohl Repräsentant meines Landes als auch der Vereinten Nationen. Was auch immer dir lieber ist … entscheide dich.“
    Ausgezeichnet, empfing ich einen Gedanken. Ich ergebe mich dir in deiner Eigenschaft als Angestellter des Innenministeriums.
    Sofort ging er zur nächsten Ecke, blieb dort kurz stehen und kam dann mit gleichmäßiger Geschwindigkeit angetrottet. Ich ging ebenfalls in die Ecke, die ich erst kurz vorher verlassen hatte. Er erreichte sie vor mir, wartete aber nicht, sondern kam auf mich zu.
    „Bleiben Sie dort stehen“, sagte ich in offiziellem Tonfall. „Betrachten Sie sich als festgenommen.“
    Statt dessen kam er näher und sprang mich an. Gedanken tauchten in meinem Kopf auf, die im großen und ganzen etwa bedeuteten:
     

     
    Stirb, Nestbeschmutzer!
     
    Meine Hand war im Augenblick seines Sprunges hochgeschnellt, in Ermangelung einer anderen Waffe hatte ich ihm meine Zigarettenkippe ins Gesicht geschnippt.
    Er konnte ihr gerade noch ausweichen, kurz bevor seine Füße vom Träger abhoben. Ich duckte mich, bemüht, mit meinen erhobenen Händen gleichzeitig Schutz zu suchen und das Gleichgewicht zu wahren.
    Er prallte gegen mich, aber weder an der Kehle noch an der Schlagader. Er traf auf meine linke Schulter, wonach er sich wie wild in mein Schulterblatt und meinen Oberarm hineinkrallte. Dann fiel er.
    Es folgte ein Augenblick unbewußter Reaktionen und Gedanken: das Gleichgewicht wiedererlangen, dieses kleine, bösartige Ding retten – aus welchen Gründen auch immer –, den rechten Arm ausstrecken, das Gewicht auf den linken Fuß verlagern, mit der linken Hand festhalten, nicht zu weit hinausbeugen, greifen – vorsieht, nicht straucheln, jetzt kommt der Ruck …
    Ich hatte ihn! Ich hatte ihn am Schwanz zu fassen bekommen. Aber …
    Ein kurzer Augenblick des Widerstandes, ein reißendes Geräusch, eine plötzliche Gewichtsverlagerung zur anderen Seite …
    Ich hielt einen steifen, künstlichen Schwanz in der Hand, Reste eines geschickt angefertigten Kostüms klebten noch daran. Ich erhaschte einen flüchtigen Blick auf die schwarze Gestalt, als sie durch die hell erleuchteten Regionen stürzte. Ich glaube kaum, daß sie auf den Füßen landete.

 
12
     
    Zeit.
    Mehr Fragmente, Scherben, Bruchstücke … Zeit.
    Epiphanie in Schwärze & Licht, Szenario in Grün, Gold, Purpur & Grau …
    Da ist ein Mann. Er klettert in der dunstigen, abendlichen Luft, er besteigt den hohen Turm von Cheslerei in einer Stadt namens Ardel, neben einem Meer, dessen Namen er bisher noch nicht einmal richtig aussprechen kann. Das Meer selbst ist dunkel und dickflüssig wie Johannisbeersaft, das Licht von Canis Vibesper spiegelt sich darin wieder, der Sonne, die gerade eben unter dem Horizont versunken ist, um nun einem anderen Kontinent Licht und Wärme zu spenden. Eine sanfte Brise streicht über die Bauwerke, Balkone, Türme, Wälle und Häuser der Stadt, sie trägt die Gerüche des Festlandes hinaus zu seinem älteren, kälteren Gefährten …
    An der seewärts gerichteten Seite klettert er mit dem fliehenden Tag um die Wette. Der Turm von Cheslerei wird von den letzten Strahlen der Sonne erhellt, nur noch die äußerste Spitze ist in Licht gebadet. Vom Beginn des Sonnenuntergangs an stieg er dem entschwindenden Licht nach, um der Nacht an der letztmöglichen Stelle zu begegnen.
    Mittlerweile klettert er mit den Schatten um die Wette, sein eigener wird bereits diffus, seine Hände ragen wie Fische aus dem Meer der Dunkelheit heraus. Am gewaltigen Firmament über ihm
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