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Tore in der Wüste

Tore in der Wüste

Titel: Tore in der Wüste
Autoren: Roger Zelazny
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war kühl, die Brise mehr als nur ein wenig klamm. Leiser Verkehrslärm drang herauf, fern, wie von Insekten. Gelegentlich störte eine Fledermaus meinen Blick zum Himmelszelt.
    „Alkaid, Mizar, Alioth“, murmelte ich, „Megrez, Phecda…“
    „Merak und Dubhe“, sagte er, womit er den Großen Bären vervollständigte und mich gleichzeitig verblüffte, zum einen, weil er mein Murmeln verstanden hatte, zum anderen, weil er den Rest kannte.
    „Wieder da, wo ich sie vor so vielen Jahren zurückließ“, fuhr er fort. „Seltsame Gefühle durchströmen mich – angesichts dessen, was ich heute nacht analysieren möchte. Haben Sie jemals zurückgeblickt auf einen Moment Ihrer Vergangenheit, der plötzlich so lebendig geworden ist, daß alle dazwischen liegenden Jahre traumhaft und unbedeutend erschienen, die überströmenden Gefühle eines Mainachmittags zu bloßer Routine herabsanken?“
    „Nein“, sagte ich.
    „Eines Tages, wenn es Ihnen so geht, dann vergessen Sie nicht – den Cognac“, sagte er, nahm einen weiteren Schluck, dann gab er mir die Flasche.
    Ich nippte und gab sie ihm zurück.
    „Tausende von Tagen ziehen sie schon da oben hin“, fuhr er fort. „Auf ihren vorherbestimmten Bahnen. Intellektuell weiß ich das alles, aber etwas anderes in mir will es unaufhörlich verleugnen. Teilweise ist mir das alles klar, weil ich mir des Unterschiedes zwischen dieser frühen Zeit und der Gegenwart wohl bewußt bin. Dieser Wechsel war kumulativ. Weltraumfahrt, Städte unter dem Meeresboden, die Fortschritte in der Medizin – auch unser erster Kontakt mit den Außerirdischen, all diese Dinge passierten zu verschiedenen Zeiten, und alles andere schien unverändert, als sie geschahen. Alles ging seinen geregelten Gang. Das Leben war hinterher immer noch dasselbe, abgesehen von der stattgefundenen Neuerung. Dann wieder eine Veränderung, zu einem anderen Zeitpunkt. Dann wieder eine. Keine massive Revolution. Es war ein kontinuierlicher Prozeß. Dann ist ein Mann plötzlich bereit, sich zurückzuziehen, abzutreten, und das gibt Raum für Reflektionen. Er blickt zurück, zurück nach Cambridge, wo ein junger Mann auf ein Gebäude klettert. Er sieht diese Sterne. Er fühlt die Beschaffenheit des Daches. Alles Folgende ist ein rasender Traum, ein einfarbiges Kaleidoskop. Er ist hier, und er ist dort. Alles andere ist irreal. Aber es sind zwei Welten, Fred – zwei vollkommen andere Welten –, und er hat das niemals gesehen, er hat keine jemals wirklich im Akt des Geschehens erlebt. Dieses Gefühl erfüllt mich in der heutigen Nacht.“
    „Ist es ein gutes oder ein schlechtes Gefühl?“ fragte ich.
    „Das weiß ich nicht. Ich bin gefühlsmäßig damit überhaupt noch nicht ins reine gekommen.“
    „Lassen Sie es mich wissen, wenn das geschehen ist. Sie haben mich wirklich neugierig gemacht.“
    Er kicherte. Ich auch.
    „Es ist eigentlich komisch“, sagte ich. „Sie haben nie mit dem Klettern aufgehört.“
    Er schwieg eine Weile, dann sagte er: „Das mit dem Klettern ist schon eine merkwürdige Sache … Natürlich war es so etwas wie Tradition, dort, wo ich studiert habe, wenn es mir auch, glaube ich, mehr Spaß gemacht hat als den anderen. Ich behielt es noch einige Jahre bei, nachdem ich die Universität verlassen hatte, aber dann wurde es mehr oder weniger sporadisch, ich wechselte oft meinen Standort und hatte immer seltener die Gelegenheit dazu. Heute würde es mir wahrscheinlich Schwierigkeiten machen, wenn ich wieder richtig klettern müßte. Aber eines Tages werde ich einmal Urlaub machen, irgendwo, wo es eine kongeniale Architektur gibt. Dort werde ich dann die Nächte damit verbringen, an Fassaden hochzuklettern und Dächer zu erkunden.“
    „Akrophilie“, sagte ich.
    „Richtig. Etwas einen Namen zu geben, erklärt es noch lange nicht, dachte ich. Ich habe nie richtig verstanden, warum ich es getan habe. Verstehe es heute noch nicht. Ich habe einfach einmal damit aufgehört, wahrscheinlich sind die Hormonstöße der mittleren Jahre dafür verantwortlich. Wer weiß? Dann bekam ich hier meinen Lehrauftrag und hörte von Ihren eigenen Aktivitäten. Ich begann, wieder daran zu denken. Und das wiederum ließ den Wunsch neu erwachen, ich fing wieder an. Seitdem bin ich dabeigeblieben. Ich habe mehr Zeit damit verbracht, mich darüber zu wundern, warum die Leute mit dem Klettern aufgehört haben, als darüber, wieso sie anfingen.“
    „Es scheint eine völlig natürliche Sache zu
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