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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition)
Autoren: Lea Nicolai
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und schwitzte im Lampenlicht. Sie hatte dreieinhalb Stunden in der Maske hinter sich, trug einen Knopf im Ohr und einen Sender hinten im Hosenbund, der sie beim Sitzen piekte.
    Eigentlich hasste sie öffentliche Auftritte. Am liebsten verkroch sie sich mit Hammer, Meißel und Steinkleber an ihrem zugigen Arbeitsplatz hoch oben auf den Gerüsten um den Straßburger Münsterturm. Oder sie igelte sich mit einem Buch und einer Kanne Tee in ihrer Dachwohnung ein. Nur nicht nervös werden! Dieses Mantra wiederholte Ravenna unentwegt. Dennoch krampfte sich ihr Magen vor Aufregung zusammen.
    Die Assistentin trug ein bodenlanges Abendkleid, auf dem Tierkreiszeichen glitzerten. Sie brachte auch Vadym eine Erfrischung. Dann zog sie an einer rostigen Kette. Eine Showtreppe rollte ins Studio, umwallt von Trockeneisnebel. Der Donner kam vom Tonband.
    »Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir den Showmaster des heutigen Abends! Wir freuen uns sehr, für diese Runde eine ganz besondere Persönlichkeit des Showgeschäfts gewonnen zu haben. Einen Mann, der viel für uns alle getan hat. Gastgeber der heutigen Show ist … der Erfinder und Produzent des WizzQuizz!«
    Ohrenbetäubender Applaus, übertönt von Posaunenstößen. Vadym klatschte, Ravenna ebenso. Der Showmaster war jedes Mal ein anderer Prominenter. Er musste keineswegs zaubern können: Ein bisschen Smalltalk mit den Kandidaten, ein paar anzügliche Witze in Richtung Publikum und die Ansage der nächsten Herausforderung – darin bestand seine Aufgabe. Die Auswahl der Fragen übernahm das Medium, das angeblich in einem abgeschirmten Raum hinter den Kulissen saß und sich nur mit dem Hexenbrett behalf.
    Der Lichttechniker ließ es blitzen. Der Gastgeber erschien ganz oben auf der Showtreppe. Umwölkt von Nebelschwaden stieg er zu den beiden Kandidaten herab. Erst die erfolgreiche Auswahlrunde lockte den Quizmaster aus seinem Turm – so wollte es die Regie. Jeder seiner Schritte ließ die Showtreppe funkeln.
    Ravenna starrte in den Nebel. Diesen Anfang hatte sie Dutzende Male im Fernsehen gesehen, zu Hause auf der Couch, mit dicken Wollsocken an den Füßen, einem Becher Eiscreme in Reichweite und eng an Lucian gekuschelt, der sich erst an die abendliche TV-Entspannung hatte gewöhnen müssen. Verdammt, wie war sie bloß auf die Idee gekommen, sich für das Wizard-Quiz zu bewerben?
    Der Showmaster hatte eine Glatze und trug einen schwarzen Umhang mit hochgestelltem Kragen. Im linken Ohrläppchen funkelte ein violetter Stein. In jeder Hand hielt er einen Koffer. Sein Gesicht schälte sich langsam aus dem gleißenden Nebel.
    Ravenna blinzelte, denn dieses herablassende Lächeln kam ihr bekannt vor. Allerdings wirkten die Augen ungewohnt, stechender hinter der getönten Brille, und durch den kahlen Kopf sah der Moderator irgendwie anders aus. Als ihr endlich klar wurde, weshalb ihr der Showmaster trotzdem so vertraut erschien, fühlte sich der Schreck an wie ein Boxhieb in die Magengrube.
    Der Gastgeber des Abends war kein anderer als ihr alter Widersacher Beliar.
    Sie rutschte vom Hocker und sah sich instinktiv nach einem Fluchtweg um. Ihr Herz pochte so schnell, dass ihr übel wurde. Alle Türen des Studios waren geschlossen, und über den Ausgängen flackerte ein rotes Warnlicht: Émission! Das bedeutete so viel wie: Wir sind auf Sendung!
    Vadym runzelte die Stirn, als sie zurückwich. Sie stolperte beinah über ein Kabel. Durch ihre hektischen Bewegungen verrutschte der Sender in ihrem Hosenbund und von einem Lautsprecher in ihrer Nähe ertönte ein schrilles Pfeifen. Der Tontechniker, der neben der Box stand, fluchte und riss sich den Kopfhörer herunter.
    Ravenna beachtete die Störgeräusche nicht. Sie hatte mit allem gerechnet – nur damit nicht: Der Showmaster des WizzQuizz war der Teufel persönlich. Ein Hexenmeister und Dämonenfürst, der mehr Menschen auf dem Gewissen hatte, als sie an beiden Händen abzählen konnte. Beliar hatte ihre Freunde in Gefahr gebracht – den Zirkel der Sieben, von dem sie ihr ganzes Wissen erlangt hatte. Er hatte versucht, sie in den Wahnsinn zu treiben, und als das nicht gelang, hatte er sie umbringen wollen … nein, erst Lucian und dann sie. Und nun schritt er die funkelnde Treppe herunter und badete im Applaus, als wäre eine Huldigung im Fernsehen genau das Richtige für einen Verbrecher wie ihn.
    Wütend gab ihr der Regieassistent Zeichen. Der Techniker rannte mit ausgebreiteten Armen auf sie zu, als würde er ein
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