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Tonio

Tonio

Titel: Tonio
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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verpflichtete der Tag Null zu nichts: Er durfte sogar, ganz oder teilweise, mißlingen. Noch war ja nichts verloren.
    So lag ich also, während halb Amsterdam seinen Pfingst-rausch ausschlief, im Bett und genoß im voraus den mir bevorstehenden, mich zu nichts verpflichtenden Arbeitstag, dessen Beginn ich so lange hinauszögern konnte, wie ich wollte. Unten, in ihrem Zimmer im Erdgeschoß, saß Mirjam zweifellos bereits seit eineinhalb Stunden an ihrem Computer. Wochentags stand sie gegen sechs Uhr auf, um ins Fitneßstudio zu gehen, wonach sie sich gegen halb neun an die Arbeit machte, doch sonntags übersprang sie den Sport und gewann dadurch sowohl für den Schlaf als auch für die Arbeit eine Stunde. Ich hatte es nicht so eilig wie sie. Ihre Konzentration ließ für gewöhnlich um die Mittagszeit nach, während meine dann in Bestform war; ich ermüdete erst am Nachmittag.
    Ich stellte mir vor, wie die Katzen unter dem Computertisch ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken versuchten, indem sie ihr um die Beine strichen oder sich, falls das keinen Erfolg hatte, abwechselnd der Länge nach auf der Tastatur ausstreckten. Unsere Absprache lautete, daß ich Mirjam kurz anrief, sobald ich Lust auf Kaffee hatte, dann käme sie mit dem Frühstück nach oben. Ich wußte, wie das ablaufen würde. Nebeneinander aufrecht in den Kissen sitzend die Pläne für den Tag durchsprechen. Mitte der Woche war das Wetter auf einmal schön geworden. Wie an den vorangegangenen Tagen würden wir uns am späten Nachmittag auf der Veranda, unter dem Goldregen, einfinden, für ein Glas Fruchtsaft, denn vom Alkohol hielten wir uns schon seit Wochen fern. Es brauchte nicht gekocht zu werden. Tonio würde zum Essen kommen und hatte bereits zu verstehen gegeben, er hätte mal wieder Lust auf eine Portion Chow-Minh vom Surinamer.
    Ich nahm mein Handy von der Matratze neben mir, legte es aber gleich wieder hin. Das Frühstück lieber noch ein bißchen hinausschieben. Der einzige Makel an meinem Wohlbehagen: daß mein Magen, für gewöhnlich ein nie rebellierender Held, ziemlich durcheinander war und so meinen Appetit beeinträchtigte. Mit Alkohol konnte das nichts zu tun haben. Ich versuchte mich zu erinnern, was wir am Abend zuvor gegessen hatten. Kalbfleisch, denn es hatte eine Soße mit Marsala gegeben – nein, für Scaloppina marsala verwendete Mirjam zur Zeit, aus ökologischen Gründen, Filets von Biohühnern. Als Vorspeise hatten wir Spaghetti aglio olio , mit vielen schwarzgedünsteten Knoblauchstückchen, und als Beilage einen überreichlich mit frisch gehacktem Knoblauch bestreuten Salat. Offenbar genau eine Knoblauchzehe zuviel, denn am frühen Morgen, irgendwann zwischen vier und halb fünf, hatte mich ein Magenkrampf geweckt, der von einer unstillbaren Speichelflut begleitet war. Senkrecht im Bett sitzend, hatte ich, unentwegt schluckend, gegen Übelkeit angekämpft, so lange, bis sie nachließ und ich mich wieder hinlegen konnte.
3
     
    Jetzt, Stunden später, hatte sich mein Magen noch immer nicht ganz beruhigt. Ich konnte Mirjam natürlich nur um Kaffee bitten, viel Milch in wenig Espresso, doch ich beschloß, die Situation allein noch ein wenig weiterzugenießen. So war es gut. Ich sprach es Japi aus »Der Schnorrer« nach: Ich hatte mich immer zu sehr abgerackert. Seit wir im letzten Jahr vorzeitig aus Lugano zurückgekehrt waren, nach einem katastrophal verlaufenen Arbeitsaufenthalt, hatte ich mich zum Eigentümer meiner gesamten Zeit erklärt. Einen Teil davon wollte ich mit Mirjam verbringen (und mit Tonio, wenn ihm danach war), doch darüber hinaus konnte niemand mehr Anspruch darauf erheben. Genug Briefe geschrieben, Beiträge für Zeitschriften geliefert. Ich war es leid, die Stammtische verschiedener Kneipen mit den Ärmeln meines Jacketts blank zu reiben, ganz zu schweigen von all dem Text, der dort gratis und ins Blaue meinemMund entfleuchte und genausogut daheim zu Papier hätte gebracht werden können.
    Und es funktionierte. Jeder Tag war ein Geschenk. Einmal war mir Mirjam gegenüber herausgerutscht, »die meisten Menschen kommen immer nur, um etwas zu holen, nie, um etwas zu bringen«. Es war aus spontaner Verärgerung gesagt, mehr nicht, aber nachdem es heraus war, wußte ich, es war die Wahrheit. Seitdem achtete ich darauf, daß bei mir nichts mehr zu holen war. Ich würde nicht damit aufhören, den Menschen dann und wann etwas zu bringen, aber alles zu seiner Zeit.
    Ich dachte wieder an meinen Arbeitsplan, eine
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