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Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns

Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns

Titel: Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns
Autoren: Mark Billingham
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kam sich schick vor mit der schlanken, kalten Flasche in ihrer Hand. Nita nippte die Hälfte von ihrem Cola-Rum, Jo leerte den Rest ihres Lagerbiers und rülpste laut.
    »Wozu trinkst du das? Das ist doch wie Limo!«
    Helen spürte, wie sie rot wurde. »Ich mag den Geschmack.«
    »Es soll aber gar nicht gut schmecken, das ist der Punkt.«
    Nita und Linzi lachten. Helen zuckte mit den Schultern und nahm noch einen Schluck. Andrea stupste sie. »Es schmeckt wie … na, du weißt schon.«
    Stöhnen. Jo steckte sich zwei Finger in den Hals. Helen wusste, worüber sie redeten. Sex war so ziemlich das Einzige, worüber Andrea redete.
    »Sag uns doch noch mal, wie groß sein Schwanz war, Jo.«
    Der Stripper war Andreas Idee gewesen, und Nita schien es zu gefallen. Helen fand, dass er, von oben bis unten eingeölt, gut in Form war, und er hatte dafür gesorgt, dass sie rot wurde. Sie hatte bemerkt, dass er genauso verlegen war wie sie, als ihm Jo in den Schritt gefasst hatte, und eine Sekunde lang hatte er fassungslos ausgesehen. Dann hatte er gelächelt und unter den Pfiffen und dem Gejohle des Publikums seine Sachen vom Boden aufgehoben. Auch Helen hatte gepfiffen und gejohlt, doch ihr wäre es lieber gewesen, wenn sie etwas besoffener gewesen wäre.
    »Groß genug!«, kreischte Jo.
    »Mehr als genug!«
    Helen beugte sich zu Linzi vor.«Wie läuft’s in der Arbeit?«
    Sie war mit Linzi eng befreundet, doch sie hatten den ganzen Abend noch nicht richtig miteinander geredet.
    »Beschissen. Wahrscheinlich werde ich das Handtuch schmeißen … bei irgendeiner Zeitarbeitsfirma arbeiten, oder so.«
    »Hast Recht.«
    Helen liebte ihre Arbeit. Sie bekam zwar wenig Geld, doch die Kollegen waren nett, und obwohl sie ihren Eltern etwas abgeben musste, war es immer noch billiger, zu Hause zu wohnen. Sie sah keinen Sinn darin, auszuziehen, nicht, bis sie jemanden kennen gelernt hatte. Warum sollte sie eine Bruchbude mieten wie Jo und Nita? Andrea wohnte übrigens auch noch zu Hause. Weiß Gott, woher sie die vielen Gelegenheiten zum Sex hatte, über die sie immer sprach …
    »Let Me Entertain You« dröhnte aus der Jukebox – eins ihrer Lieblingslieder. Sie bewegte den Kopf zum Rhythmus der Musik und sang den Text leise mit. Sie erinnerte sich an eine Schüler-Disko und an einen Jungen mit Ohrring, traurigen braunen Augen und einem nach Cidre riechenden Atem. Als der Refrain kam, fielen die anderen Mädchen mit ein, und Helen schwieg.
    Der Barmann läutete die letzte Bestellung ein und rief etwas Unverständliches. Andrea und Jo waren ganz scharf auf eine letzte Runde. Helen grinste, obwohl sie eigentlich nach Hause wollte. Es würde ihr am nächsten Morgen schlecht gehen, und ihr Vater würde noch auf sein, um auf sie zu warten. Ihr war bereits ein wenig schwindlig. Sie wäre vor ihrer Verabredung besser erst nach Hause gegangen, um ihren Tee zu trinken und sich umzuziehen. Sie kam sich in ihrem schwarzen Rock und der anständigen Bluse wie eine verklemmte alte Schachtel vor. Auf dem Heimweg würde sie eine Tüte Chips und ein Stück Fisch für ihren Vater kaufen.
    Andrea erhob sich und verkündete, dass sie noch eine letzte Runde bestellen würde. Helen jubelte ebenso wie die anderen, trank die Flasche leer und kramte in ihrer Handtasche nach ein paar Münzen.
     
    Thorne hörte mit geschlossenen Augen Johnny Cash, drehte den Kopf und ließ genüsslich seine Halswirbel knacken. Der Sänger mit der tiefen Stimme betonte gerade, er werde aus seinem verrosteten Käfig ausbrechen. Thorne öffnete die Augen und blickte sich in seiner gemütlichen Wohnung um – die eigentlich kein Käfig war. Doch er wusste, wovon Johnny sprach.
    Die Zweizimmerwohnung war klein, aber leicht in Ordnung zu halten. Außerdem lag sie nahe genug an der belebten Kentish Town Road, sodass er sicher sein konnte, dass ihm niemals der Tee oder die Milch ausging. Oder der Wein.
    Das Paar im Stockwerk über ihm war ruhig und belästigte ihn nie. Keine sechs Monate wohnte er jetzt hier, seit er das Haus in Hyghbury schließlich verkauft hatte, doch er kannte schon jeden Zentimeter der Wohnung. An einem deprimierenden Sonntag hatte er sie mit IKEA-Möbeln eingerichtet.
    Eigentlich konnte er nicht sagen, dass er unglücklich war, seit Jan ihn verlassen hatte. O Gott, sie waren seit drei Jahren geschieden, und gegangen war sie vor fast fünf, doch noch immer hatte er das Gefühl, als würde … die Welt um ihn herum schwanken. Er hatte gedacht, durch den Umzug in die
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