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Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns

Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns

Titel: Tom Thorne 01 - Der Kuß des Sandmanns
Autoren: Mark Billingham
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drückte Flehen aus.
    Ebenso wie das seines Sohnes.
    James Bishop blickte zu Tom Thorne, und seine Augen baten ihn, sterben zu dürfen. Sie baten um Erlaubnis, seinem Vater ins Gesicht blicken und beobachten zu dürfen, wie es sich verzerrte, während das Blut aus seinem eigenen Körper strömte. Er wollte sterben, während er seinen Vater leiden sah.
    Thorne war in Versuchung, es zuzulassen.
    Jeremy schluchzte mit heiserer Stimme: »Um Himmels willen, Thorne …«
    Doch während sich Thorne vorstellte, wie er einfach nur dasaß und zusah, wie James Bishop verblutete, fiel ihm Maggie Byrne ein, von James beobachtet, wie sich ihr Leben auf die billige Steppdecke ergoss.
    Und er erinnerte sich an das Versprechen, das er Alison Willetts gegeben hatte.
    Sterben wäre zu einfach. Er wollte sehen, wie der Wichser vor Gericht gestellt und abgeführt wurde. Er wollte zusehen, wie James Bishops Hoffnung verdampfte.
    Jeremy schluchzte unkontrolliert, seine blutüberströmten Arme fest um den Hals seines Sohnes geschlungen.
    Mit einem letzten Blick auf Anne verließ Thorne das weiße Zimmer, ging die Treppe hinunter und eilte hinaus auf die Straße, wo Holland hoffentlich auf ihn wartete.

 
    Teil vier
    Die Stille
     

 
    Um ehrlich zu sein, ich bin froh, dass er tot ist.
    Sogar richtig begeistert. Gefängnis ist ja schön und gut, aber ich wollte nicht hier rumliegen und daran denken müssen, dass er seine Lebensgeschichte aufschreibt, wie ein Gockel umherstolziert und womöglich rauskommt, noch bevor er fünfzig ist. Oder in einem Krankenhaus landet und die Menschheit davon überzeugt, dass er geisteskrank ist, während er in bequemen Pantoffeln rumschlurft, Modellflugzeuge baut und sich an die Frauen erinnert, die er umgebracht hat.
    Sich an das erinnert, was er mir angetan hat.
    Bei diesem Idioten ist es mir lieber, dass er tot ist. Wenn ich mal einen Tagesausflug machen, also in einen Spezialwagen verfrachtet werden könnte und man mich an einen Ort meiner Wahl bringen würde, würde ich gerne sein Grab sehen. Darauf herumzutanzen geht bei mir ja irgendwie nicht, aber ich wäre schon froh, wenn man mich quer darüber legen könnte. Mit dem Gesicht nach unten würde ich die dunkelsten Gedanken denken, die tief in die Erde hinabsinken und sich wie Gift in seine Kiste fressen würden.
    Ich bin froh, dass er tot ist. Steif und starr wie ich.
    Nein, nicht wie ich. Schließlich kratzt er nicht wie verrückt an seinem Sargdeckel. Er ruiniert sich nicht die Finger bei dem Versuch herauszukommen. Er wird nicht gefüttert, nicht abgewischt, nicht beatmet.
    Apropos – keine Besserung. Keine Reaktion auf die Antibiotika und keine Chance, dass in naher Zukunft die Beatmungsmaschine weggenommen wird. Offenbar ist die Lungenentzündung durch eine Pilzinfektion noch komplizierter geworden. Viren und Pilze. Ich bin die reinste Brutstätte.
    Was ich wirklich nicht verkrafte, ist, dass es seine Entscheidung war.
    Er hat für mich diesen Zustand gewählt und für sich selbst den Tod.
    Und das wirklich Ironische an der Sache daran ist: Ich bin tatsächlich ein positiver Mensch. Wirklich. Vielleicht glaubt ihr mir das nicht. Ja, ich weiß, dass meine Stimmung ständig schwankt, aber dafür kann man mir wirklich keinen Vorwurf machen. Versucht es doch einfach mal: Legt euch auf den Rücken und starrt an die Decke, bis eure Augen tränen, und stellt es euch vor. Stellt euch vor, ihr seid halb tot und halb lebendig, und die beiden Hälften passen überhaupt nicht zusammen.
    Es ist nicht leicht, die ganze Zeit glücklich zu sein.
    Ich bin ein positiver Mensch. Aber während ich hier liege, denke ich von mir nicht mehr als Mensch. Nicht einmal mehr als einsamer Mensch, der niemanden mehr in seiner Nähe hat. Ich kann mir noch nicht einmal Leid tun, selbst dafür habe ich kein Gefühl. Ich fühle mich eher wie ein Ding in einem Museum.
    Ich fühle mich wie das Ding, das er erschaffen hat.
    Ich glaube nicht an Gott oder an ein Leben nach dem Tod. Tut mir Leid, ich tue es einfach nicht und habe es nie getan. Ich glaube an die Art, wie die Dinge sind. An die Art, wie ich bin. Ich glaube an die Fähigkeit von Menschen, Schreckliches tun zu können, wie er es getan hat, und ich glaube, dass einige Menschen Gutes tun können.
    Ich würde gern etwas Gutes tun. Ich möchte überhaupt etwas tun.
    Die meisten Menschen haben hinsichtlich vieler Dinge keine Wahl. Sie entscheiden nicht darüber, ob sie unglücklich oder arm sind, ob sie Kinder verlieren oder
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