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Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley

Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley

Titel: Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
Autoren: Patricia Highsmith
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ein Bild, das Dickie zeigte, wie er ein Ruderboot auf den Sand zog. Den Hintergrund bildeten ausgedörrte, felsige Berge und ein Saum kleiner weißer Häuschen am Ufer entlang. »Und hier - das ist dieses Mädchen. Die einzige Amerikanerin dort in der Gegend.«
    »Marge Sherwood«, warf Mr. Greenleaf ein. Er saß am anderen Ende des Zimmers, aber er saß vornübergebeugt und verfolgte aufmerksam das Bilderzeigen.
    Das Mädchen saß im Badeanzug am Strand, die Arme um die Knie geschlungen, sie sah gesund und natürlich aus mit ihrem zerzausten, kurzgeschnittenen Blondhaar - der Typ des guten Kameraden. Noch eine gelungene Aufnahme von Richard in kurzen Hosen, auf der Brüstung einer Terrasse hockend. Er lächelte - aber das war nicht dasselbe Lächeln, Tom sah es. Richard wirkte gereifter auf den europäischen Bildern.
    Tom bemerkte, daß Mrs. Greenleaf unbeweglich auf den Teppich zu ihren Füßen starrte. Ihm fiel jener Moment am Tisch wieder ein, als sie gesagt hatte: »Ach, hätte ich doch nie von Europa gehört!« und Mr. Greenleaf sie mit einem ängstlichen Blick gestreift und dann Tom zugelächelt hatte, so als wären solche Ausbrüche nichts Neues. Jetzt sah Tom Tränen in ihren Augen. Mr. Greenleaf stand auf und ging zu ihr hinüber.
    »Mrs. Greenleaf«, sagte Tom sanft, »bitte seien Sie versichert, daß ich alles tun werde, was in meiner Macht steht, um Dickie zur Rückkehr zu bewegen.«
    »Gott segne Sie, Tom, Gott segne Sie!« Sie drückte Toms Hand, die über seinem Knie lag.
    »Meinst du nicht, Emily, daß es für dich Zeit ist zum Zubettgehen?« fragte Mr. Greenleaf und beugte sich zu ihr herunter.
    Tom stand auf, als Mrs. Greenleaf sich erhob.
    »Ich hoffe, Sie kommen uns noch einmal besuchen, bevor Sie fahren, Tom«, sagte sie; »seit Richard weg ist, haben wir so selten junge Leute im Haus. Ich vermisse sie.«
    »Mit dem größten Vergnügen werde ich kommen«, sagte Tom.
    Mr. Greenleaf verließ mit ihr das Zimmer. Tom blieb noch stehen, die Hände an der Hosennaht, den Kopf hocherhoben. In einem großen Wandspiegel konnte er sich sehen: schon wieder der aufrechte, selbstbewußte junge Mann. Er guckte rasch weg. Er handelte richtig, benahm sich richtig. Und dennoch saß da ein Stachel des Schuldgefühls. Als er gerade eben zu Mrs. Greenleaf gesagt hatte, ich werde alles tun, was in meiner Macht steht . . . Ja, er meinte es so. Er wollte niemanden hinters Licht führen.
    Er merkte, wie ihm der Schweiß ausbrach, und versuchte, sich zu entspannen. Was regte er sich so auf? Er hatte sich heute abend so wohl gefühlt! Als er das mit Tante Dottie gesagt hatte . . .
    Tom richtete sich auf, heftete seinen Blick auf die Tür, aber die Tür hatte sich nicht bewegt.
    Es war das einzige Mal gewesen heute abend, daß ihm unbehaglich zumute war, irgendwie unwirklich, so wie ihm zumute war, wenn er log, und doch war es praktisch von allem, was er erzählt hatte, das einzig wirklich Wahre gewesen: Meine Eltern sind gestorben, als ich noch sehr klein war. Ich bin bei meiner Tante in Boston aufgewachsen.
    Mr. Greenleaf kam herein. Der ganze Mann schien zu pulsieren, groß und immer größer zu werden. Tom zwinkerte mit den Augen in einem Anfall panischer Angst vor dem Mann, in dem plötzlichen Trieb, ihn anzugreifen, ehe er selbst angegriffen wurde.
    »Ich denke, wir genehmigen uns einen Schnaps«, sagte Mr. Greenleaf und öffnete ein Türchen in der Wandtäfelung am Kamin.
    Es ist wie ein Film, dachte Tom. Gleich wird Mr. Greenleaf oder irgendeine Stimme sagen: Gut, abblenden!, und er wird aufatmen und sich bei Raoul wiederfinden, seinen Gin und Tonic vor sich. Nein, wieder im »Grünen Käfig«.
    »Genug getrunken?« fragte Mr. Greenleaf. »Sie brauchen dies nicht zu nehmen, wenn Sie nicht wollen.«
    Tom ließ ein vages Kopfnicken sehen, und Mr. Greenleaf schaute einen Augenblick verdutzt drein. Dann goß er die beiden Cognacs ein.
    Kalte Furcht überrieselte Tom von Kopf bis Fuß. Er dachte an den Vorfall in dem Drugstore vergangene Woche, obwohl das ja alles überstanden war, und in Wirklichkeit hatte er doch gar keine Angst, hielt Tom sich selber vor, jetzt nicht mehr. Da war ein Drugstore auf der Zweiten Avenue, Tom gab die Telephonnummer an Leute, die darauf bestanden, ihn wegen ihrer Einkommensteuer noch einmal anzurufen. Er gab sie aus als Nummer der Rechnungsabteilung, unter der er nur mittwochs und freitags zwischen halb vier und vier Uhr zu erreichen wäre. Um diese Zeit herum war Tom dann in dem
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