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Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley

Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley

Titel: Tom Ripley 01 - Der talentierte Mr Ripley
Autoren: Patricia Highsmith
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ganz genau, was so passiert mit Dickie? Du bist der erste Mensch, der mir begegnet, der einen Grund hat, nach Europa zu gehen.«
    Er erzählte ihr von der Besichtigung der Werftanlagen Mr. Greenleafs in Long Island draußen, von den endlosen Hallen voller Maschinen, die glänzende Metallteile ausspuckten oder Holz lackierten und polierten, von den Trockendocks mit Schiffsskeletten aller Größen, und er machte großen Eindruck auf sie mit den Fachausdrücken, die Mr. Greenleaf gebraucht hatte: Süll, Dollbord, Binnenkiel, Außenwinkelprofil.
    Er beschrieb das zweite Abendessen bei den Greenleafs, wobei Mr. Greenleaf ihm eine Armbanduhr geschenkt hatte. Er zeigte Cleo die Uhr, keine märchenhaft teure Uhr, aber doch eine ausgezeichnete und genau die Art, die Tom selber sich auch ausgesucht hätte - ein glattes weißes Zifferblatt mit zierlich schwarzen römischen Zahlen in einem einfachen Goldgehäuse, dazu ein Armband aus Krokodilleder.
    »Nur weil ich ein paar Tage vorher ganz nebenbei erwähnt habe, daß ich keine Uhr besitze«, sagte Tom. »Er hat mich tatsächlich wie einen Sohn angenommen.« Und auch hier war Cleo von allen Menschen, die er kannte, die einzige, der er dies sagen konnte.
    Cleo seufzte. »Mensch, hast du ein Glück! Nie im Leben könnte so etwas einem Mädchen passieren. Wie frei doch Männer sind!«
    Tom lächelte. Oft genug schien es ihm, als sei es genau umgekehrt. »Sind das die Schnitzel, die da qualmen?«
    Mit einem Schrei fuhr Cleo in die Höhe.
    Nach dem Essen zeigte sie ihm fünf oder sechs ihrer neuesten Malereien, ein paar romantische Porträts von einem jungen Manne, den sie beide kannten, im offenen weißen Sporthemd, drei Phantasielandschaften, dschungelähnlich, zu denen die Ailanthusbäume vor dem Fenster die Inspiration geliefert hatten. Die Haare der winzigen Äffchen auf den Bildern waren wirklich verblüffend gut gemacht, dachte Tom. Cleo hatte eine Menge Pinsel, die nur aus einem einzigen Haar bestanden, und selbst diese variierten noch vom vergleichsweise großen bis zum ultrafeinen Haar.
    Sie tranken beinahe zwei Flaschen Medoc aus der Hausbar der Eltern, und Tom wurde so müde, daß er am liebsten die ganze Nacht liegengeblieben wäre, wo er gerade lag, auf dem Fußboden - oft hatten sie so Seite an Seite geschlafen, auf den beiden großen Bärenfellen vor dem Kamin, und das war noch so etwas Wundervolles an Cleo, sie verlangte oder erwartete niemals von ihm, daß er sich ihr näherte, und er hatte sich ihr auch nie genähert -, aber Tom raffte sich um dreiviertel zwölf auf und verabschiedete sich.
    »Ich sehe dich wohl nicht mehr, nein?« sagte Cleo niedergeschlagen an der Tür.
    »Oh, ich bin ja in etwa sechs Wochen wieder da«, sagte Tom, obwohl er durchaus nicht daran dachte. Plötzlich neigte er sich vor, setzte einen festen, brüderlichen Kuß auf ihre Elfenbeinwange. »Ich werde dich sehr vermissen, Cleo.«
    Sie drückte seine Schulter, die erste körperliche Berührung, die sie ihm, solange er zurückdenken konnte, jemals zuteil werden ließ. »Ich werde dich vermissen«, sagte sie.
    Am nächsten Tag kümmerte er sich um die Bestellungen von Mrs. Greenleaf bei Gebr. Brooks, ein Dutzend Paar schwarzer Wollstrümpfe und ein Schlafrock. Für den Schlafrock hatte Mrs. Greenleaf keine Farbe angegeben, das überließe sie ihm, hatte sie gesagt. Tom wählte einen aus dunkelrotem Flanell mit marineblauem Gürtel und gleichen Aufschlägen. Es war nach Toms Geschmack nicht der schönste aus der Kollektion, aber er hatte das Gefühl, das sei genau der, den Richard genommen hätte, und Richard würde entzückt darüber sein. Er ließ die Socken und den Schlafrock auf Rechnung der Greenleafs schreiben. Er sah ein Sporthemd aus schwerem Leinen mit Holzknöpfen, es gefiel ihm sehr, und es wäre sehr einfach gewesen, es auch noch auf Mr. Greenleafs Rechnung mitzunehmen, aber er tat es nicht. Er kaufte es von seinem eigenen Geld.

5
    Der Morgen seiner Abreise, dieser Morgen, dem er mit steigender Erregung entgegengefiebert hatte, wurde zu einem abscheulichen Anfang. Tom folgte dem Steward zu seiner Kabine, im stillen gratulierte er sich, denn anscheinend hatte es doch gewirkt bei Bob, daß er es so entschieden abgelehnt hatte, sich ans Schiff bringen zu lassen. Wohlgemut betrat er die Kabine, und ein haarsträubendes Hallo brach los.
    »Wo ist denn all der Champagner, Tom? Wir verdursten!«
    »Junge, ist das hier ein Loch! Warum verlangst du denn nicht was Anständiges von
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