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Töten Ist Ein Kinderspiel

Töten Ist Ein Kinderspiel

Titel: Töten Ist Ein Kinderspiel
Autoren: Corinna Waffender
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überhaupt nichts damit zu tun.“
    „Davon gehen wir auch aus“, beschwichtigte ihn Berger, bevor seine Chefin zurückschießen konnte. „Reine Routine, das muss leider sein.“
    Ingo Mangold fuhr sich über die Augen und winkte halbherzig ab. Was er dachte, sprach er nicht aus. Dann verließ er grußlos die Kirche durch den Raum, in dem noch bis vor wenigen Minuten seine tote Frau gelegen hatte. Berger und Nowak hätten ihn daran hindern müssen, da die Spurensicherung noch nicht abgeschlossen war. Aber weder er noch sie rührten sich vom Fleck, beide sahen dem schmächtigen Mann, der ein wenig gebeugt und mit kleinen Schritten über die Steinplatten schlurfte, schweigend nach.

Eins
    Was man vergessen will, quält sich beharrlich in die Gedanken. Was man behalten will, spielt im Kopf mit der Erinnerung Versteck. Deshalb schreibe ich meine Geschichte auf. Für die, die nach einer Wahrheit suchen, die zur Wirklichkeit passt. Sie nimmt ihren Lauf zu einem Zeitpunkt, als die Toten noch nicht einmal geboren waren.
    Ich war gerade zurückgekehrt. Wenn man die Tatsache, ein Erbe anzutreten, als Rückkehr bezeichnen will. Als es klingelte, hatte ich ein Kinderlied im Kopf:
    Kommt ein Vogel geflogen, setzt sich nieder auf mein Knie, einen Zettel im Schnabel, von der Mutter einen Brief.
    Dabei hat meine Mutter immer den Schnabel gehalten und Briefe hat sie überhaupt keine geschrieben.
    „Was ich zu sagen habe, sage ich frei heraus“, das waren ihre Worte und deshalb hat sie ein Leben lang den Mund gehalten. Als ich ging und als ich fort war und als ich wiedergekommen bin. Da war die Mutter schon kalt, kälter noch als zu Lebzeiten. Und der Vogel ist mit gestutzten Flügeln zu mir gekommen an einem Wintertag. Ohne Brief, nur mit einem Paket.
    „Ich soll das hier abgeben“, hat er gesagt, und der Wind hob die verklebten dünnen Haare von seinem Kopf wie kleine Zweige ohne Blätter. Gerne hätte ich ihm die Last abgenommen, die er zwischen seinen langen Krallen hielt, aber mir schickte kein Mensch etwas, und Pakete für Verstorbene nehme ich nicht mehr an.
    Ob er bei der Post arbeite, habe ich ihn gefragt und die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Das macht immer Eindruck. Das provoziert.
    Wie Wenger. Seine Stimme habe ich auch nie vergessen.
    „Was machst du Schlampe mit deinen dreckigen Fingern, dass du sie verstecken musst?“
    Dabei gab es doch damals gar nichts zu verstecken, nichts hätten wir halten können, wo wir uns doch selbst kaum mehr ertrugen. Und das war es, was er sah, dass wir uns noch an so etwas Leichtfertiges wie eine Seele klammerten.
    Der Paketvogel, fast vierzig Jahre später an meiner Tür, hielt sich an einem blauen Karton fest, schüttelte den Kopf. War scheu und schaute kaum auf: „Meine Mutter schickt mich.“
    Ich schluckte die Aufschrift mit den Augen und begriff. Seine Mutter war die Katalogfrau. Meine Mutter unter der Erde bekam ein Paket vom Otto-Versand.
    „Das will ich nicht“, sagte ich.
    „Was soll ich denn jetzt machen mit dem Päckchen?“
    „Behalt es.“
    „Das darf ich nicht.“
    „Ich erlaub es dir doch.“
    „Das ist nicht dasselbe.“
    Er war nicht dumm, und deshalb ließ ich ihn herein. Einem normalen Menschen hätte ich niemals die Tür geöffnet, aber dieser Junge war aus dem Nest gefallen.
    „Wie heißt du?“, habe ich ihn gefragt.
    „Hannes. Wieso?“
    Ich schlitzte mit den Fingernägeln den Deckel auf, aber Styropor blutet nicht. Darunter, knisternd und bügelfrei, ein hellgelber Morgenmantel für die Ewigkeit.
    „Nylonträume eines Feiglings“, erklärte ich.
    Hannes erwiderte trocken: „Wieso? Gehört doch Mut dazu, so etwas zu bestellen!“
    Es war lange her, dass ich gelacht hatte. So lange, dass sich der ungewohnte Ton aus meiner Kehle gurgeln musste und ich mich verschluckte.
    Rühr mich nicht an, das musste ich dem Vogel nicht sagen. Er hätte mich niemals angefasst, und wenn ich daran erstickt wäre.
    Seit diesem Tag ließ ich ihn herein, wenn er an meinem Fenster vorbeiflog.
    Und manchmal hielt ich nach ihm Ausschau.

Dienstagmorgen
    „Würdest du hier wohnen wollen?“ Berger deutete aus dem Fenster auf die Dächer der villenähnlichen Einfamilienhäuser, deren Eingänge, Balkone und Fenster blickdicht hinter hohen Büschen und Bäumen verschwanden.
    „Im Leben nicht! Ist bestimmt stockdunkel, eng, und nach hinten raus drängeln sich Angebergärten.“ Inge Nowak schüttelte energisch den Kopf. „Ich kenne Leute, die hier in einer
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