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Toedlicher Sumpf

Toedlicher Sumpf

Titel: Toedlicher Sumpf
Autoren: Joy Castro
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so aus«, sagt er dann und schiebt das Blatt zu mir herüber.
    Ich spreche gezielt in das kleine Mikrofon: »Auf Ihren Wunsch hin schalte ich das Gerät jetzt aus, Mr. Lanusse.«
    »Genau, machen Sie das Ding aus.«
    Mein Finger senkt sich, und das rote Lämpchen erlischt. Ich lege das Blatt mit den Fotos zurück in die Akte und befestige es mit einer Büroklammer.
    »Ich habe hier noch ein Foto, das ich Ihnen gern zeigen würde.« Ich greife in meine Tasche.
    »Nur zu.« Wieder schenkt er sich zwei Fingerbreit Whiskey ein und kippt ihn auf einen Zug.
    Ich breite den Amber-Waybridge-Flyer aus und drehe ihn so, dass er das Bild sehen kann. Ihre dunklen Augen liegen nun direkt neben seinem Messer.
    »Haben Sie diese Frau schon mal gesehen?«
    Lange herrscht Schweigen. Dann hebt er den Kopf und sieht mich mit seinen hellen Augen unverwandt an. »Was ist das denn für eine Frage?«, sagt er giftig.
    »Eine ganz einfache, Mr. Lanusse.«
    »Nein, dieses Mädchen habe ich noch nie gesehen.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ich sage doch, ich habe sie nie gesehen.«
    Ich gebe mich äußerst überrascht. »Noch nicht einmal diesen Flyer? Er hängt überall im Quarter.«
    Er zögert. »Na ja, das schon. Den Flyer, ja. Den hab ich gesehen.«
    »Aber die Frau nicht.«
    »Wie gesagt.«
    »Mein Fehler.« Ich ziehe den Flyer wieder zu mir herüber. »Im Quarter ist noch ein Mädchen verschwunden. Heute. Eine Schülerin von da drüben.«
    »Ach wirklich?«
    »Ich weiß, Sie sind ein wachsamer Bürger. Deshalb dachte ich, Sie könnten uns vielleicht bei den Ermittlungen unterstützen.«
    »Bei den Ermittlungen.« Er greift nach dem Messer, lässt es mehrmals auf- und zuschnappen. »Glauben Sie, dass jemand hier aus der Gegend dahintersteckt?«
    »Ja, auf jeden Fall. Die Polizei ist nahe dran«, lüge ich. »DieGerichtsmediziner haben genügend Material; es muss nur noch der Ort gefunden werden, an dem die Frau getötet worden ist.«
    Für den Bruchteil einer Sekunde wandert sein Blick in Richtung Flur. Als er sieht, dass ich das beobachtet habe, räuspert er sich und setzt sich etwas anders hin. »Trinken Sie einen Schluck«, sagt er wieder und zeigt auf mein volles Glas. »Der Whiskey ist wirklich gut.«
    »Sie ist verstümmelt worden, aber das wissen Sie sicher aus den Nachrichten.«
    »Richtig, ja. Davon hab ich gehört«, sagt er und wedelt vor der linken Seite seines Brustkorbs mit der Hand. »Schrecklich.«
    Es wird sehr still. Von den Ventilatoren kommt ein kalter Luftzug. Über die verstümmelte Brust von Amber Waybridge ist in den Nachrichten zu keiner Zeit berichtet worden.
    »Tut mir leid, dass ich Sie mit Amber behelligt habe.« Ich falte den Flyer und stecke ihn ein.
    »Wer?«
    »Amber Waybridge. Die ermordete Frau. Das war ihr Name«, sage ich, stecke auch das Diktiergerät ein und stehe auf. Langsam gehe ich in Richtung Flur, wo sein Blick eben hingewandert ist.
    Er runzelt die Stirn, schiebt rasch seinen Stuhl zurück, springt auf und versperrt mir – die Arme verschränkt, das Messer in der Hand – den Weg in den Flur.
    »Nur noch eins, bevor ich gehe.«
    »Gut«, knurrt er. »Ich habe langsam genug.«
    »Das verstehe ich.« Ich wühle in meiner Tasche. »Ich verstehe, dass Sie genug haben, aber wir sind gleich fertig.«
    Meine Hand zittert nicht, als ich das kleine Foto aus meiner Brieftasche ziehe und ihm hinhalte. Er will danach greifen, aber ich überlasse es ihm nicht. Er soll es nicht anfassen. » Mi querida Nola «, lese ich. Es ist die Schrift meiner Mutter.
    »8 Jahre, 3. Klasse. 1989.«
    »Erinnern Sie sich an dieses Mädchen, Mr. Lanusse?«
    Er starrt das Bild lange an, dann beginnt er zu nicken. Und grinst.
    »Ja«, sagt er. »Oh ja. Aber den Namen weiß ich nicht mehr.«
    Der Raum um uns herum wirbelt rot und schwarz.
    Neben der Whiskeyfahne und dem kalten Zigarettenrauch nehme ich noch einen anderen Geruch wahr. Seine Haut, seinen Schweiß, sein Fleisch. Ekelerregend. Vertraut. Ein Albtraumgeruch.
    »Sie erinnert sich auch an Sie«, sage ich, ziehe die Beretta und drücke ab. Zwei Schüsse genau in die Brust.
    Ich weiß noch, wie ich es Tante Helene erzählt habe, als ich nach Hause kam in die Desire Projects.
    »Oh, nein. Oh, nicht doch. Nein, nein, nein. Mein liebes, süßes Mädchen. Nein«, sagte sie immer wieder, während sie sich vor mich kniete, mich in die Arme nahm und wiegte. Aber ich stand starr und steif da. Ich habe die Umarmung wahrgenommen, konnte mich ihr aber nicht überlassen, konnte die
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