Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)

verständnisvoller auf Sabines Situation reagierte. »Frau Durant, wie lange kennen wir uns jetzt?«, hatte er zum Abschluss stirnrunzelnd gefragt, doch es war natürlich eine rhetorische Frage, und er ließ ihr gar nicht erst die Gelegenheit, darauf zu antworten. »Lange genug will ich meinen«, betonte er und hob mahnend die Augenbrauen. »Beim nächsten Mal holen Sie mich gleich ins Boot, Sie kennen mich immerhin genauso lange wie ich Sie und sollten wissen, dass ich nicht der Unmensch bin, den ich manchmal mime. Beim nächsten Mal also bitte etwas früher, Frau Kaufmann, abgemacht?«
    »Abgemacht«, murmelte diese.

    Nachdem Julia ihre Erkältung auskuriert hatte, besuchte sie Peter Kullmer und Doris Seidel als Erste aus dem Team der Mordkommission. Mit einem schweren Kloß im Hals hielt sie die kleine Elisa auf dem Arm, übervorsichtig, um ja nichts abzubrechen, eben so, wie man Neugeborene hält, wenn man damit keine Erfahrung hat. Doris und Peter lächelten, hatten sie als frischgebackene Eltern doch selbst zunächst kaum gewusst, wie und wo sie diesen kleinen, zarten Körper anfassen durften. Ihnen entgingen nicht Julias schwermütiger Blick und die im gedimmten Licht des Kinderzimmers leicht glasig werdenden Augen. Mit siebenundvierzig, das brauchte keiner im Raum auszusprechen, bekam man eben keine Kinder mehr. Julia Durant beschloss in diesem Moment, Elisa so oft wie möglich zu sehen, sofern das für Doris und Peter in Ordnung ging.
    Nach ihrem Besuch verabredete sie sich mit Alina Cornelius zu einem Frauenabend mit Kino, Cocktails und ebenjener Art von Gesprächen, für die ein Mann nichts taugt. Dabei stellte sich relativ schnell heraus, dass es weniger um Julias Kinderlosigkeit ging als vielmehr um ihre allabendliche Einsamkeit, wenn sie die geräumige Eigentumswohnung betrat. »Du kompensierst alles mit deinem Job«, wusste Alina nur allzu gut, »aber der Job brennt dich aus, wenn es nicht noch etwas anderes gibt.« Sie vermied tunlichst, den Münchner Kommissar zu erwähnen, das brauchte sie aber auch gar nicht.
    »Ich bin einfach nicht dazu bereit, mein Leben völlig mit jemandem zu teilen«, seufzte Julia schwermütig, denn sie hatte den Kommentar durchaus verstanden. »Claus würde wohl nie fragen, obwohl ich schon des Öfteren das Gefühl hatte, dass er auf eine Einladung hofft. Ist es denn so schlimm, wenn ich dafür noch nicht bereit bin?«
    »Frag nicht mich«, lächelte Alina vielsagend. »Frag dich das selbst … und dann frag ihn.«
    Julia nickte. Sie wusste, dass ihre Freundin recht hatte.
    »Ich habe einfach ein Problem mit Nähe, aber bin zugleich nicht gerne allein. Vielleicht bin ich ja ein Katzentyp«, murmelte sie. »Oder vielleicht besser ein Hundetyp.« Sie strich sich sanft über die Hüften, obgleich sie seit Silvester nicht zugenommen hatte. »Regelmäßiges Gassigehen würde mir sicher guttun.«
    »Wenn du meinst. Aber weder eine Katze noch ein Hund werden dir die Entscheidung abnehmen, ob und wann du Claus in deine Privatsphäre vordringen lässt. Glaub mir, Julia, ich kann es nach dieser Geschichte damals wirklich gut verstehen. Aber nach allem, was du mir von diesem Mann erzählt hast, hat er einen Versuch verdient, oder? Und an Verständnis wird es ihm nicht mangeln. Wer weiß, vielleicht möchte er ja selbst noch eine Weile mit einem Besuch hier oben warten. Ohne mit ihm darüber – und auch über deine Grenzen – zu reden, erfährst du es nie.«
    Wie wahr, dachte Julia Durant und nickte stumm. Alinas Worte halfen ihr weiter, wie üblich. Sie durfte das Gespräch noch ein wenig hinauszögern. Aber allzu lange würde sie damit nicht warten.

Über Andreas Franz / Daniel Holbe
    Andreas Franz’ große Leidenschaft war von jeher das Schreiben. Bereits mit seinem ersten Erfolgsroman »Jung, blond, tot« gelang es ihm, unzählige Krimileser in seinen Bann zu ziehen. Seitdem folgt Bestseller auf Bestseller, die ihn zu Deutschlands erfolgreichstem Krimiautor machten. Seinen ausgezeichneten Kontakten zu Polizei und anderen Dienststellen ist die große Authentizität seiner Kriminalromane zu verdanken. Andreas Franz starb im März 2011. Er war verheiratet und hatte fünf Kinder.
    Daniel Holbe, Jahrgang 1976, lebt mit seiner Familie in der Wetterau unweit von Frankfurt.
    Insbesondere Krimis rund um Frankfurt und Hessen faszinieren den lesebegeisterten Daniel Holbe schon seit geraumer Zeit. So wurde er Andreas-Franz-Fan – und schließlich selbst Autor.

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