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Toedliche Worte

Toedliche Worte

Titel: Toedliche Worte
Autoren: Val McDermid
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ihnen mehr gibt, und wie böse sie werden, wenn er sich daran hält, ihnen für ihre verkrumpelten Geldscheine nur das zu geben, was er ihnen dafür liefern soll. Er weiß, wie diese Schlampen geläutert werden müssen und dass er ein Teil dieser Läuterung sein wird.
    Es wird nicht mehr lange dauern. Jeden Abend, wenn er das Licht ausschaltet, flüstert die Stimme ihm in der Stille etwas zu und schildert ihm, wie es sein wird. Zuerst machte es ihm große Angst. Er war nicht sicher, ertragen zu können, dass die Wände mit ihm zu reden schienen. Und er glaubte nicht, dass er das tun könnte, was sie von ihm verlangten. Aber wenn er jetzt in dieser Schattenwelt zwischen Wachen und Schlafen zuhört, glaubt er, es vielleicht doch zu können. Ein Schritt nach dem anderen, so kommt man ans Ziel. Das sagt die Stimme. Und wenn er sich einen Schritt nach dem anderen ansieht, ist es tatsächlich nicht schwer. Außer dem Ende.
    Er hat so etwas noch nie getan. Aber er hat sich immer wieder die Videos angesehen. Er weiß, wie gut es ihm tut, dabei zuzugucken. Und die Stimme sagt ihm, es wird eine Million Mal so schön sein, es wirklich selbst zu tun. Und auch das macht Sinn, denn alles, was die Stimme ihm bisher sagte, hat gestimmt. Und jetzt ist die Zeit reif. Heute Nacht.
    Er kann es kaum erwarten.

C arol Jordan warf ihre Aktentasche auf den Beifahrersitz und stieg in den silberfarbenen Mittelklassewagen, den sie gerade deshalb ausgewählt hatte, weil er so unauffällig war. Sie steckte den Schlüssel ins Schloss, konnte sich aber nicht überwinden, den Motor anzulassen. Mein Gott, was sollte das werden? Ihre Hände waren feucht, die Muskeln in der Brust vor Beklemmung angespannt. Wie sollte sie bloß in den Einsatzraum treten und ihre Leute motivieren, wenn ihr Mund so trocken war, dass ihr die Zunge an den Zähnen klebte?
    Sie starrte hoch zu den kleinen Fenstern oben an den Wänden der Tiefgarage. Füße eilten dort auf dem Weg zur Arbeit vorbei. Glänzende Mokassins, abgetretene Schuhe, zierliche Slipper mit kleinen Absätzen und Pumps. Beine in Anzughosen, Jeans, blickdichten schwarzen Strumpfhosen und hauchdünnen Nylons. Spaziergänger im Herzen der Stadt, die den Morgen spielend bewältigten. Warum konnte sie das nicht auch?
    »Nimm dich zusammen, Jordan«, murmelte sie leise, drehte den Schlüssel im Schloss und gab Gas. Schließlich würde sie keinen Raum voll von Fremden betreten. Ihre Gruppe war klein und handverlesen, von ihr und Brandon ausgesucht. Die meisten hatten schon früher mit ihr zusammengearbeitet, und sie wusste, dass sie sie schätzten. Zumindest hatten sie das damals getan. Sie hoffte, dass ihr Respekt noch stark genug war, dass sie der Versuchung, sie zu bemitleiden, widerstehen konnten.
    Carol fuhr den Wagen vorsichtig aus der Garage auf die Straße hinaus. Alles war so vertraut und doch ganz anders. Als sie früher in Bradfield gewohnt und gearbeitet hatte, war ihr Zuhause die Dachwohnung eines umgebauten Lagerhauses gewesen, das einen ganzen Block einnahm, ein hoch über den Dächern gelegener Horst, in dem sie sich als Teil der von ihr überwachten Stadt, aber zugleich auch davon abgetrennt fühlen konnte. Als sie nach London gezogen war, hatte sie die Wohnung an ihren Bruder und dessen Freundin verkauft. Jetzt wohnte sie wieder in diesen vier Wänden, aber wie ein Kuckuck wider Willen in einem Nest, das Michael und Lucy sich eingerichtet hatten. Sie hatten fast alles an der Wohnung verändert, was Carol noch mehr das Gefühl gab, fehl am Platz zu sein. Früher hätte sie das mit einem Achselzucken abgetan, stark und sicher in der Gewissheit, einen Arbeitsplatz zu haben, an dem sie zu Hause war. Jetzt aber fürchtete sie, sich auf der Polizeiwache genauso als Außenseiterin zu fühlen wie draußen.
    Sogar Bradfield selbst wirkte auf sie einesteils vertraut, aber doch auch sehr fremd. Als sie hier lebte und arbeitete, hatte sie sich bewusst bemüht, die Stadt kennenzulernen. Sie war in das städtische Museum gegangen und hatte versucht, die Einflüsse zu verstehen, die Bradfield im Lauf der Jahrhunderte geformt und aus einem kleinen Dorf von Schäfern und Webern zu einem vitalen Handelszentrum gemacht hatten, das im viktorianischen Empire mit Manchester um die Stellung der nördlichen Hauptstadt wetteiferte. Sie hatte vom Niedergang in der Nachkriegszeit und von der Wiederbelebung durch verschiedene Einwandererschübe am Ende des letzten Jahrhunderts erfahren. Sie hatte sich mit der Architektur
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