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Tödliche Therapie

Tödliche Therapie

Titel: Tödliche Therapie
Autoren: Sara Paretzky
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zuvorkommend in sein Büro führte.
    „Was hat dieser Haufen Scheiße jetzt vor?“ fragte
Paul.
    „Humphries wird sich loskaufen. Er wird Fabiano für
ein paar tausend Dollar ein Papier unterschreiben lassen und damit dem
Krankenhaus eine weit höhere Summe für einen Prozeß ersparen.“
    „Was für einen Prozeß?“ Paul runzelte die Stirn.
„Sie haben für Consuelo und das Baby getan, was sie konnten.“
    Mir gingen Mrs. Kirklands hastige Bemerkungen vom
Nachmittag durch den Kopf, und ich war mir dessen nicht so sicher, sagte es
aber nicht. „Mein junger, unbedarfter Freund, es ist nun einmal so: Bei jedem
toten Baby gibt es potentielle Rechtsansprüche. Niemand, nicht mal Fabiano,
sieht es gern, wenn ein Baby stirbt. Und diesbezügliche Forderungen können
sich auf mehrere hunderttausend Dollar belaufen, selbst wenn die Ärzte so
unschuldig sind wie - wie du.“ Das war wahrscheinlich der Grund, weshalb
Humphries so lange geblieben war - er sorgte sich wegen der Haftung.
    Vor dem Wartezimmer verabschiedete ich mich von
Paul. Carol und Diego kamen heraus. „Mein Gott, Vic, nach allem was du heute
für uns getan hast, beleidigt dich auch noch dieser Wurm. Es tut mir furchtbar
leid“, sagte sie.
    „Mach dir nichts draus. Du kannst nichts dafür. Ich
bin froh, daß ich helfen konnte. Ich fahre jetzt nach Hause, aber ich werde die
ganze Nacht an euch denken.“
    Zu dritt begleiteten sie mich zu einem
Seitenausgang. Als ich losfuhr, standen sie in der Tür, ein verzweifelter, aber
tapferer Stamm.
     
    4 Zehn-Uhr-Nachrichten
     
    Das Krankenhaus, dank dessen Klimaanlage meine
nackten Arme mit einer Gänsehaut überzogen waren, war ungemütlich gewesen, aber
die schwüle Luft draußen war wie ein Faustschlag ins Gesicht. Jede Bewegung
kostete mich eine unglaubliche Anstrengung, sogar das Atmen fiel schwer. Nur
mit gutem Zureden schafften es meine Beine bis zum Auto. Für ein paar Minuten
legte ich den Kopf aufs Lenkrad. Ich war fix und fertig. Vierzig Meilen durch
die Dunkelheit zu fahren, erschien mir ein Vorhaben, das über meine Kräfte
ging. Schließlich legte ich schwerfällig den ersten Gang ein und fuhr los.
    In Chicago verirre ich mich nie. Wenn ich den See
oder den Sears Tower nicht finden kann, orientiere ich mich an den L-förmigen
Straßenbahnschienen, und wenn das auch nichts nützt, dann bringt mich das
Straßennetz in Form eines X-Y-Koordinatensystems ans Ziel. Aber hier in dieser
Gegend gab es keine Orientierungspunkte. Das Krankenhausgelände war zwar hell
erleuchtet mit unzähligen Lampen, aber auf der Straße war es stockfinster.
Nachdem in den nordwestlichen Vororten die Kriminalitätsrate sehr niedrig ist,
ist es auch nicht nötig, die Straßen zu beleuchten. Auf meiner rasenden Fahrt
zum Krankenhaus hatte ich nicht auf Straßennamen geachtet, und die kurzen
Sackgassen, engen Ladenstraßen und diversen Autohandlungen boten in der
Dunkelheit keine Anhaltspunkte. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich fuhr, und in
meinem Magen machte sich ein Gefühl der Angst breit, das ich aus dem Chicagoer
Stadtverkehr nicht kannte.
    Vor mehr als sechs Stunden hatte ich Consuelo im
Krankenhaus abgeliefert. In Gedanken sah ich sie vor mir, wie ich meine Mutter
zum letztenmal gesehen habe, klein, zerbrechlich, im Schatten gleichgültiger
medizinischer Apparaturen. Immer wieder stellte ich mir das Baby vor, eine
winzige V. I., nicht fähig zu atmen, wie sie mit einem Schopf schwarzer Haare
in einem Bettchen lag.
    Meine Hände auf dem Lenkrad waren schweißnaß, als
ich an einem Schild vorbeikam, das mich in Glendale Heights willkommen hieß.
Dankbar für diese Orientierungshilfe fuhr ich an den Straßenrand und studierte
den Stadtplan von Chicago. Ich war mehr oder weniger in die richtige Richtung
gefahren. Nach weiteren zehn Minuten erreichte ich den North-South Tollway, der
direkt auf den Expressway stieß. Der Verkehrslärm, die Geschwindigkeit und die
hellen Straßenlampen brachten mich wieder ins Gleichgewicht. An der Austin Avenue
passierte ich die Stadtgrenze und fuhr einen Bogen Richtung Stadtmitte. In
diesen heimatlichen Gefilden verschwanden auch die häßlichen Bilder von
Consuelo aus meinem Kopf. Sie würde gesund werden. Es waren nur die Hitze und
die Erschöpfung und die seltsame Sterilität des Krankenhauses gewesen, die
meine Nerven angegriffen hatten.
    Meine kleine Wohnung in der Racine Avenue nördlich
der Belmont Avenue begrüßte mich mit Stapeln alter Zeitungen und einer dünnen
Staubschicht.
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