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Tödliche Täuschung

Tödliche Täuschung

Titel: Tödliche Täuschung
Autoren: Anne Perry
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sein. Rathbone bezweifelte, dass Barton Lambert einem Mann verzeihen würde, der seiner Tochter wehtat. Seine Gefühle zu verstehen war nicht schwierig. Er war kein Narr und auch kein Mann, dem es an Weltklugheit fehlte, sonst hätte er sich in einem so harten und von unerbittlicher Konkurrenz geprägten Gewerbe nicht solchen Wohlstand erworben. Manchester - die Gegend, aus der er seinem Akzent nach kommen musste - war kein einfaches Pflaster, keine Stadt, die den Manieren eines Mannes den letzten Schliff verliehen hätte. Andererseits kannte man dort kaum die gelangweilte Blasiertheit Londons, seine kulturelle Vielfalt - die Macht der Presse und das pulsierende Leben der Hauptstadt.
    Barton Lambert besaß eine Art Unschuld, und als Rathbone ihm ins Gesicht sah, war ihm klar, dass sein Zorn sich spontan und unaufhaltsam Bahn brechen würde.
    Das Gespräch drehte sich um Politik. Fitz-Robert hatte gerade eine Bemerkung über Mr. Gladstone gemacht.
    »Ein guter Mann«, pflichtete Lambert ihm bei. »Ich kannte seine Familie.« Er nickte.
    Natürlich. William Ewart Gladstone, ›Gottes Stellvertreter im Schatzamt‹, wie man ihn spöttisch genannt hatte, stammte aus Manchester. In Lamberts Stimme schwang unüberhörbarer Stolz mit.
    »Er konnte dem Premierminister nicht unähnlicher sein«, fuhr Fitz-Robert fort, wobei er zweifellos von Lord Palmerstons Scharfsinn und seinem Sportsgeist sprach, von dem Vergnügen, das das Leben ihm bereitete, seine Annehmlichkeiten ebenso wie seine Verpflichtungen.
    Rathbone musste unwillkürlich an Mr. Gladstones allenthalben bekanntes, nachdrückliches Interesse am anderen Geschlecht denken und an die gelegentlich durchaus verständliche Interpretation seiner Gastfreundschaft für vom Glück weniger begünstigte Frauen, deren Seelen er zu retten hoffte. Aus Respekt vor den anwesenden Damen, vor allem vor Zillah, verbot er es sich jedoch, eine diesbezügliche Bemerkung zu machen. Er fing Fitz-Roberts Blick auf und hatte einige Mühe, ernst zu bleiben.
    Einen Augenblick später gesellte sich eine weitere hübsche Frau zu ihnen, die von zwei unverheirateten Töchtern begleitet wurde. Alle wurden sie pflichtschuldigst vorgestellt, und Rathbone sah, wie die Augen der Dame interessiert aufleuchteten, als sie automatisch seine Eignung abschätzte, seinen gesellschaftlichen Status und sein vermutliches Einkommen. Offensichtlich fand sie ihn als Kandidaten in allen Punkten zufrieden stellend. Sie schenkte ihm ein huldvolles Lächeln.
    »Ich bin hoch erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Sir Oliver. Darf ich Ihnen meine ältere Tochter, Margaret, vorstellen?«
    »Guten Tag, Sir Oliver«, sagte Margret gehorsam. Sie war ein durchaus reizvolles Mädchen mit freimütigem Blick und recht gewöhnlichen Zügen. Ihr braunes Haar war für den Anlass kunstvoll in Locken gelegt worden. Ihre übliche Frisur stand ihr vermutlich besser, aber eine Gelegenheit wie diese durfte nicht durch einen Mangel an Bemühung vergeudet werden.
    »Guten Tag, Miss Ballinger«, erwiderte Rathbone höflich. Er hasste diese gezwungenen Unterhaltungen und wünschte sich, er hätte es abgelehnt, Fitz-Robert zu begleiten. Nichts, was er vermutlich über Barton Lambert oder seine Tochter erfahren konnte, würde ihn für die Peinlichkeit dieser Situation entschädigen. Tatsächlich war das Ganze ohnehin ein nutzloses Unterfangen, denn er hatte nicht die Absicht, Killian Melvilles Fall zu übernehmen, falls es so weit kommen sollte. Es war Melvilles eigene Schuld, dass er in dieser Zwangslage steckte, und er sollte seinen gesunden Menschenverstand benutzen, um sich daraus zu befreien, oder aber die Konsequenzen tragen. Zillah Lambert war ausgesprochen attraktiv und würde noch dazu eine recht hübsche Mitgift erhalten. Wenn er sich eine Frau seiner eigenen Wahl ausgesucht hätte, hätte er es wohl sehr viel schlechter treffen können.
    »Und meine jüngere Tochter, Julia«, sagte Mrs. Ballinger gerade zu ihm.
    »Guten Tag, Miss Julia«, erwiderte Rathbone und neigte leicht den Kopf. Sie war nicht hübscher als ihre Schwester und hatte denselben offenen, beinahe belustigten Blick.
    »Haben Sie gestern Abend das Konzert in Lady Thorpes Haus besucht?«, erkundigte sich Mrs. Ballinger gerade bei Mrs. Lambert. »Wir sind Margarets wegen hingegangen. Sie hat eine solche Vorliebe für Musik und ist natürlich eine hervorragende Geigerin, wenn ich das selbst sagen darf.« Sie drehte sich mit einem strahlenden Lächeln zu Ra thbone um.
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