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Tödliche Täuschung

Tödliche Täuschung

Titel: Tödliche Täuschung
Autoren: Anne Perry
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»Mögen Sie Musik, Sir Oliver?«
    Rathbone hätte am liebsten gelogen und behauptet, stocktaub zu sein. Er sah den Eifer in Mrs. Ballingers Gesicht und die Verlegenheit in Margrets. Sie musste sich vorkommen wie ein Rassepferd, das einem möglichen Käufer vorgeführt wurde. Der Vergleich kam der Wahrheit bestürzend nahe.
    In Mrs. Lamberts Lächeln lag innere Befriedigung. Sie hatte bereits gewonnen und brauchte keine Konkurrenz mehr zu fürchten. Der Triumph strahlte ihr förmlich aus den Augen. Zillah selbst sah heiter und glücklich aus.
    Mrs. Ballinger wartete auf Antwort.
    Rathbone sah Margret an, und sein Mitleid gewann die Oberhand über eine Vernunft, sodass er wahrheitsgemäß antwortete.
    »Ja, ich liebe Musik, besonders die Violine.«
    Mrs. Ballingers Erwiderung ließ nicht auf sich warten.
    »Dann hätten Sie vielleicht einmal Lust, uns zu besuchen und Margrets Spiel zu hören. Wir veranstalten nächsten Donnerstag eine Soiree.«
    Margaret biss sich auf die Lippen, und die Röte stieg ihr ins Gesicht. Sie wandte sich von Rathbone ab, und er vermutete, dass die Blicke, mit denen sie ihre Mutter bedachte, von Mord gesprochen hätten, hätte sie es nur gewagt. Er fragte sich, wie viele Male sie diese oder ähnliche Szenen über sich hatte ergehen lassen müssen.
    Er war geradewegs in die Falle gelaufen. Die Aufdringlichkeit Mrs. Ballingers erzürnte ihn beinahe ebenso sehr wie Margaret.
    Und doch konnte keiner von ihnen etwas unternehmen, ohne es noch schlimmer zu machen.
    Delphine Lambert beobachtete das Ganze mit verhaltener Be lustigung, und um ihren zarten Mund spielte ein feines Lächeln.
    Es war schließlich Julia Ballinger, die das kurze Schweigen brach.
    »Ich nehme an, Sir Oliver hat seinen Terminkalender nicht dabei, Mama. Er wird uns sicher eine Karte schicken, um uns mitzuteilen, ob er der Einladung folgen kann. Wir brauchen ihm lediglich unsere Adresse zu geben.«
    Margaret sah sie voller Dankbarkeit an. Rathbone lächelte.
    »Sie haben vollkommen Recht, Miss Julia. Ich fürchte, ich bin mir, was meine Verabredungen für die nächste Woche betrifft , nicht ganz sicher. Mein Gedächtnis ist nicht so verlässlich, wie ich es gern hätte, und es wäre mir furchtbar peinlich, wenn ich jemandem absagen müsste, dessen Einladung ich bereits angenommen habe. Es könnte auch sein, dass ein Fall mich über Gebühr aufhält….
    »Natürlich«, beeilte Margaret sich zu sagen.
    Aber so leicht gab Mrs. Ballinger nicht auf. Sie zog eine Karte aus ihrem Retikül hervor und reichte sie ihm. Darauf standen Name und Adresse. »Sie sind uns stets willkommen, Sir Oliver, selbst wenn Sie nicht im Vornherein zusagen können«
    »Vielen Dank, Mrs. Ballinger.« Er nahm die Karte entgegen und steckte sie in die Tasche. Ihre Taktlosigkeit ärgerte ihn so sehr, dass er dem Hause Ballinger vielleicht tatsächlich einen Besuch abstatten würde, um Margarets willen. Er beobachtete sie verstohlen, wie sie steif und mit durchgedrückten Schultern dastand und Höllenqualen litt. Dieses Ritual würde wahrscheinlich so lange wiederholt werden, bis sie entweder erfolgreich verheiratet war oder zu einem hoffnungslosen Fall erklärt wurde. Die junge Frau erinnerte ihn ein wenig an Hester Lattely, die er in den letzten Jahren in manchen Punkten so gut kennen gelernt hatte. Margaret schien ebenso wie Hester mutig und gleichzeitig verletzlich zu sein; sie wusste ganz genau, was vorging und hatte nur Verachtung dafür. Andererseits war ihr klar, dass sie unausweichlich in der Falle saß.
    Natürlich befand Hester sich heute nicht mehr in einer ähnlichen Zwangslage. Sie hatte sich befreit und war auf die Krim gega ngen, um zusammen mit Florence Nightingale als Krankenschwester zu arbeiten. Es war ihr persönliches Schicksal gewesen, dass beide Eltern bei der Tragödie gestorben waren, die indirekt zu ihrer Begegnung mit William Monk und daher auch mit Rathbone geführt hatte. Auf diese Weise waren ihr jedoch auch die ansonsten unausweichlichen Partys, Bälle, Soirees und sonstigen Geselligkeiten erspart geblieben, an denen sie hätte teilnehmen müssen, bis ihre Mutter einen akzeptablen Ehemann für sie gefunden hätte. Akzeptabel für ihre Familie natürlich, nicht unbedingt für sie.
    Aber Hester musste jetzt an die dreißig sein, also so alt, dass die meisten Männer sie kaum mehr reizvoll fanden - eine Tatsache, die ihr nicht verborgen geblieben sein konnte. Während er so dastand, in diesem prunkvollen Raum mit der Musik im
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