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Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)

Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)

Titel: Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Traber
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erinnern.
    »Entschuldigen
Sie, darf ich Sie um eine Auskunft bitten?«
    »Gerne.«
Er setzte sich zu ihnen an den Tisch.
    »Vor zehn
Jahren habe ich hier oben mit Dr. Alexander von Lucovics einen ganzen Sommer verbracht,
wir waren mehr oder weniger verlobt. Seit langem habe ich nichts mehr von ihm gehört.
Können Sie mir sagen, ob er sich hier oben je wieder gezeigt hat? Gehört die kleine
Hütte und das dazu gehörende Grundstück immer noch ihm?«
    Der Wirt
schaute sie zuerst etwas skeptisch an, aber als sie noch weitere Angaben über Alex
machen konnte, verschwand sein anfängliches Misstrauen und er sagte: »Ja, der war
Anfang des Sommers wieder einmal hier oben. Nur kurz. Soviel ich weiß, ist er in
die Touristik eingestiegen. Er ist jetzt Reiseleiter oder so etwas, in einem bekannten
Touristikunternehmen in München, den Namen habe ich vergessen, er verdient dort
sicher gut. Ich habe nichts als Unannehmlichkeiten gehabt mit ihm, viel Ärger. Er
ist nicht beliebt bei den Leuten hier oben. In letzter Zeit hat man ihn zum Glück
nur noch selten gesehen.«
    Eva bedankte
sich, und Marianne fand, sie könnte sich nun auf die Suche nach Alex machen, das
wäre keine Hexerei.
    »Oh nein, dazu habe ich absolut keine Lust. Stell dir vor, ich würde
ihm tatsächlich irgendwo begegnen, zufällig. Ich bin sicher, ich würde ihn sofort
erkennen, aber er mich wohl kaum. Ich habe mich seither sehr verändert und trage
auch keine Kletterhosen mehr. Doch worüber würden wir uns unterhalten? Wir würden
Smalltalk machen: Wie geht es deiner Mutter? Hast du deinen Beruf aufgegeben? Steigst
du noch auf Berge? Unnötige Frage, natürlich muss er weiterklettern!«
    »Du könntest ihm endlich auf den Kopf zusagen, wie unmöglich er sich
verhalten hat«, schlug Marianne vor.
    »Das habe ich in Gedanken schon oft getan, das reicht. Ich würde ihn
fragen: Hast du inzwischen gelernt, dass man über Menschen nicht verfügen kann?
Hast du gelernt, Rücksicht auf andere zu nehmen, nicht immer nur an dich zu denken?
Ist dir bewusst, dass du damals ein Versager warst und mich tief verletzt hast?«
    »Hasst du ihn?«
    »Nein, ich habe keine Ressentiments mehr gegen ihn, auch keinen Hass,
überhaupt keine Gefühle, höchstens eine Spur Mitleid. Er ist mir längst fremd und
gleichgültig geworden.«
     
    Eva konnte Alex nicht so rasch vergessen,
der Sommer mit ihm in den Dolomiten hatte Spuren hinterlassen, die sich nicht auslöschen
ließen. Trotz ihrer Enttäuschung sehnte sie sich manchmal – zugegeben, immer seltener
– nach den schönen Stunden mit Alex, die es auch gegeben hatte, unterwegs auf eine
der Tofanen oder den Latemar, und nach den milden Nächten im Häuschen am Völser
Weiher, wenn der Mond durch die Kiefern schimmerte und sich auf dem ruhigen Wasser
des Bergsees mit den Seerosen widerspiegelte und es nach Harz, Thymian und lehmiger
Erde roch.
     
    Jahrzehnte später erinnerte sich
Eva eines Tages an den Ring mit dem Brillanten, den sie damals, als Alex auf Nimmerwiedersehen
verschwand, noch eine Weile getragen hatte – um zu zeigen, dass sie dem Verschollenen
nachtrauerte, sie hatte ihre Rolle perfekt gespielt. Irgendwann, als die tiefe Kränkung
nicht mehr schmerzte, sondern längst einer gesunden Wut über Alex’ unmögliches Verhalten
Platz gemacht hatte, war der Solitär in einem Schmuckkästchen gelandet. Sollte sie
diesen kostbaren Ring mit der romantischen Inschrift, die nichts bedeutete, noch
länger aufbewahren? Könnte es sein, vermutete sie auf einmal, dass auch der Ring
nichts wert war? Oder hatte Alex ihr trotz seinem Geiz tatsächlich einen echten
Diamanten geschenkt? Das wollte sie nun wissen, und da sie gerade dringend Geld
brauchte, hoffte sie, eine schöne Summe dafür zu erhalten.
    Der Goldschmied schaute sich den Solitär aufmerksam an, nahm die Lupe
hervor, prüfte den Edelstein und sagte dann mit einem Achselzucken: »Ach, ja, vergoldet
ist der Ring zwar, aber der Brillant ist nicht echt. Sehen Sie, wie matt er ist,
er funkelt nicht wie die echten. Ich kann Ihnen knapp 100 Franken dafür bieten.
Es lohnt sich kaum, den Ring zu verkaufen. Behalten Sie ihn, er ist vermutlich ein
schönes Andenken mit dieser rührenden Inschrift.«
    »Nein«, sagte sie entschlossen, »ich verkaufe ihn, ich bin froh, wenn
ich ihn los bin.«
     
    Bei einem Umzug fiel ihr der Eispickel
in die Hand, den sie nie mehr gebraucht hatte, und sofort holten Bilder der letzten
Tour am Berninamassiv sie ein, als wäre sie erst gestern
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