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Tödliche Jagd

Tödliche Jagd

Titel: Tödliche Jagd
Autoren: Jack Higgins
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hinaus.
      Der junge Offizier war verschwunden; dafür
warteten mehrere Wachtposten auf mich. Sie waren noch sehr jung, von
ihren Reisfeldern abkommandierte, stämmige, kleine Bauernburschen
und wirkten recht unsicher im Umgang mit Waffen, denn sie hielten
krampfhaft ihre AK-Sturmgewehre fest. Einer von ihnen ging voraus,
öffnete die Tür am Ende des Ganges und bedeutete mir, nach
draußen zu gehen.
      Der Innenhof war wie leergefegt, kein einziger
Gefangener war zu sehen. Das Tor stand weit offen, die Wachttürme
ragten gespenstisch in den morgendlichen Dunst. Alles schien in
gespannter Erwartung zu verharren. Dann näherten sich Schritte im
Marschtempo, und ich sah, wie St. Claire zusammen mit dem jungen
chinesischen Offizier und zwei Wachtposten um die Ekke bog.
      Trotz der kaputten Springerstiefel und des zerrissenen
grünen Arbeitsanzugs sah er wie das Idealbild eines Soldaten aus.
Er ging mit jenem energischen, zielgerichteten Schritt, den wohl nur
ein Berufssoldat erlernen kann. Keine Bewegung war
überflüssig, und als sich die kleine Gruppe näherte,
entstand der Eindruck, als führe St. Claire seine chinesischen
Begleiter und nicht sie ihn.
      St. Claire blieb stehen, sah mich forschend an und
lächelte dann dieses für ihn typische Lächeln, das einem
das Gefühl gab, der einzig wichtige Mensch auf der ganzen Welt zu
sein. Ich trat an seine Seite, und wir gingen zusammen weiter. Er
erhöhte das Schrittempo, und ich hatte Mühe, mitzuhalten. Wir
hätten genauso gut zu Hause in Benning beim Drill auf dem
Übungsplatz sein können, und die Wachtposten rannten fast
hinter uns.
    Der von Oberst Chen-Kuen herbeigesehnte
Monsunregen setzte mit der für ihn charakteristischen,
urplötzlichen Heftigkeit ein, als wir durch das Tor gingen. Der
strömende Regen störte St. Claire nicht im geringsten; er
marschierte flott weiter. Einer der Posten mußte einen Spurt
einlegen, um an uns vorbeizukommen und die Führung unserer kleinen
Gruppe zu übernehmen.
      Unter anderen Umständen wäre das komisch
gewesen, nicht aber jetzt. Es goß wie aus Kübeln, als wir in
den Wald marschierten und den schmalen Weg einschlugen, der zu dem etwa
zwei Kilometer entfernten Fluß führte.
      Ein paar hundert Meter weiter erreichten wir mitten im
Wald eine breite Lichtung: Zahlreiche kleine Hügel verrieten,
daß hier ein hübscher Friedhof war, natürlich ohne
Grabsteine.
      Mit einer scharfen Kommandostimme befahl uns der junge
Offizier stehenzubleiben; wir warteten, während er sich nach einer
geeigneten Stelle umsah. Viel Platz schien es hier nicht mehr zu geben,
doch diese unbedeutende Tatsache bereitete ihm offensichtlich keine
Sorgen. Er entschied sich für eine Stelle am Rande der Lichtung,
brachte uns zwei alte Spaten, die allem Anschein nach fleißig
benutzt worden waren, befahl einem der Posten, uns bei der Arbeit zu
bewachen, und stellte sich mit den beiden anderen unter einen Baum. Er
schaute uns zu und rauchte dabei.
      Der Boden war wegen des Regens leicht zu schaufeln. Er
löste sich in großen Brocken, und bevor ich es recht
bemerkte, stand ich bereits bis zu den Knien in meinem eigenen Grab.
Ein Blick auf St. Claire brachte keinen Trost. Er schuftete, als
erwarte ihn nach getaner Arbeit eine Belohnung; in der Zeit, in der ich
einen Spatenstich tat, schaffte er mit seinen kräftigen Armen
drei.
      Der Regen wurde noch heftiger, und mit ihm schwand
auch der letzte Hoffnungsschimmer. Ich würde sterben. Der Gedanke
daran schnürte mir die Kehle zu. Und gerade in diesem Moment
passierte es: Wahrscheinlich wegen des starken Regens stürzte die
eine Seite meines selbstgeschaufelten Grabes ein. Eine Hand und ein
Teil eines Unterarms, verwesendes Fleisch und Knochen staken aus der
Erde hervor.
    Wie geblendet wandte ich mich ab, rang
nach Atem, verlor das Gleichgewicht und fiel auf den Bauch. Im selben
Augenblick begruben mich die Erdmassen der anderen Seite unter sich.
      Ich versuchte verzweifelt, mich freizukämpfen,
als ich plötzlich das unverkennbare, dröhnende Lachen von St.
Claire hörte. Ich verstand nicht, warum er lachte, war aber zu
sehr mit anderen Dingen beschäftigt, als mir darüber Gedanken
machen zu können. Der Verwesungsgestank drang mir in die Nase,
brannte in meinen Augen. Ich wollte schreien, aber es ging nicht, weil
ich den Mund sofort voller Erde hatte. Ich bekam keine Luft mehr,
Dunkelheit umfing mich …

    1
Das Ende der Welt

    Dieser Traum endete jedesmal gleich: Ich saß
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