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Tödliche Investitionen

Tödliche Investitionen

Titel: Tödliche Investitionen
Autoren: Kjell Ola Dahl
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aufgebracht. Aber er rief nicht bei der Arbeit an. Da hätte er auch gleich um einen Rüffel bitten können. Er setzte sich im Bett auf, suchte gähnend nach ihrer Telefonnummer und wählte.
    Die Telefongesellschaft unterbrach die Verbindung automatisch. Er legte auf und nahm wieder ab. Wählte noch einmal ihre Nummer und ließ es klingeln. Bis wieder das Besetztzeichen ertönte.
    Telefonklingeln ist leicht zu überhören. Aber wenn die Wohnung klein ist und die Tür offen steht, ist es zu hören. Wenn das Klingeln aufhört, ist klar, dass jemand in der Wohnung ist. Wenn nicht, dann ist niemand da. Problematisch wird es, wenn jemand da zu sein scheint und das Geklingel dennoch nicht aufhört. Es wird zum Signal, zur Warnung, dass etwas nicht stimmt. Wer die Treppe putzt, hört weg. Aber kleine Kinder von drei Jahren haben noch nicht gelernt, was sich gehört und was nicht. Der dreijährige Joachim hatte einen kleinen Lappen in einem Eimerchen, das er natürlich unten auf der Treppe zwischen dem zweiten und dem dritten Stock ausgekippt hatte. Joachim lächelte. »Nass«, rief er und lachte, dann fing er eifrig an zu putzen. Bis es zu trocken wurde und Mama mit ihrem Eimer zum Nachfüllen kommen musste. Und nun bemerkte sie, dass die Tür zu Reidun Rosendals Wohnung offen stand. Leise schlug das Schloss im schwachen Durchzug, der im Treppenhaus immer herrschte, gegen den Türrahmen. Seltsam war nur die Stille dort drinnen. Es war eine kleine Wohnung, und die Nachbarin hätte eigentlich hören müssen, was vor sich ging. Mia Bjerke kannte Reidun kaum, sie grüßten sich nur, wie Nachbarinnen im Treppenhaus das eben tun. Aber als sie die Treppe schon halb geputzt hatte, klingelte es drinnen. Lange, und als es endlich aufhörte, fing es gleich wieder an. Klein-Joachim, der ganz unten auf der Treppe stand, sagte:
    »Es klingelt, Mama!« Das sagte er zwei Mal, und beide Male antwortete sie, dass Reidun, die da wohnte, sicher nicht zu Hause sei.
    Aber dann öffnete sie das kleine Fenster auf dem Treppenabsatz, und Joachim sagte, Reidun sei doch zu Hause. »Du lügst ja, Mama!«, sagte Joachim.
    Ein starker Durchzug riss die Tür von Reiduns Wohnung auf.
    »Komm her, Joachim!«, sagte sie scharf. Und Joachim gehorchte. Vielleicht wegen des Tonfalls seiner Mutter, oder vielleicht, weil er von der Stimmung erfasst wurde, die sich plötzlich im Treppenhaus verbreitet hatte.
    Ein nackter Fuß auf dem Fußboden der Wohnung verriet Mia Bjerke, dass die ganze Zeit jemand zu Hause gewesen war.

Drei
    Kriminalhauptkommissar Gunnarstranda war überrascht von der Person, die ihm die Tür aufmachte. Aber er ließ sich von ihrer Reaktion nicht aus dem Konzept bringen, weder von dem Blick, mit dem sie ihn zunächst bedachte, noch von dem, der dann seinem Dienstausweis galt. Er kannte diesen Blick und war daran gewöhnt, denn sein dünner, kleiner Körper strahlte keinerlei Autorität aus. Er maß einsvierundsechzig auf Strümpfen. Jedes einzelne seiner siebenundfünfzig Jahre hatte Spuren hinterlassen. Sein Gesicht war faltig, sein Schädel fast kahl. Nur ein kleines struppiges Haarbüschel krallte sich noch fest. Einige spärliche Strähnen, die er jeden Morgen feierlich vom einen Ohr zum anderen kämmte.
    Gunnarstranda war sich seiner traurigen Erscheinung bewusst. Deshalb nahm er es hin, dass sie ihn von oben herab musterte wie ein seltsames Insekt, das sie unter der Türmatte entdeckt hatte.
    Zur Antwort entblößte er sein weißestes Lächeln. Was ihre Verwirrung nur noch größer machte. Nur wenige erwarteten bei einem Winzling in verschlissenem Mantel, mit nikotingelben Fingern und Brandspuren am Hemd ein perlweißes Gebiss. Aber es handelte sich dabei ja auch um dentales Handwerk. Um eine Art Porzellan. Edel hatte ihm diese Verschönerung einmal nach einem Lottogewinn spendiert. »Endlich kommt jetzt mal Ordnung in deinen Mund«, hatte sie gesagt, während sie sich über die Zahlen gebeugt hatte. Vielleicht hatte sie die Stummelwüste in seinem Mund einfach satt gehabt. Sie hatte das allerdings nie gesagt. Und er hatte auch nicht gefragt. Edel hatte ohnehin immer ihren Willen durchgesetzt. Und jetzt war es zu spät, um sie zu fragen. Vier Jahre zu spät.
    Wie immer half ihm sein Lächeln. Es ließ den Eindruck von Schmuddeligkeit verschwinden. Sein Lausbubenlächeln machte die Leute unsicher, deshalb hauten sie ihm nicht gleich mit der Faust ins Gesicht.
    Die Frau erwiderte sein Lächeln, und alles war gut. Er zwinkerte. Sie
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