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Tödliche Ernte

Tödliche Ernte

Titel: Tödliche Ernte
Autoren: Vicky Stiefel
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oder so was.«
    »Das kann ich mir bei dir gar nicht vorstellen.«
    Sie starrte in ihren Wein. Als sie wieder zu mir sah, standen Tränen in ihren Augen.
    »Della?«, fragte ich.
    Sie nickte und biss sich auf die Lippe. »Ich musste gerade daran denken, wie es war, als wir Kinder waren und ich an dem Förderprogramm an eurer weißen Schule teilnahm. Della wollte mich überreden, das durchzuziehen.«
    Ich ließ meine Hand in ihre gleiten und hielt sie fest.
    »Was ist nur passiert?«, schluchzte sie. »Warum musste meine Schwester sterben?«
    »Das finden wir heraus. Versprochen.«
    Kurze Zeit danach griff Chesa nach ihrem Mantel.
    »Bleib doch«, bat ich. »Mich würde es freuen.«
    Sie zog sich die Kappe auf den Kopf. »Danke, Tal, aber ich muss ein bisschen allein sein.«
    Ich wusste, wie das war. »Ich bring dich in dein Hotel.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nur bis zur Subway-Haltestelle.«
    »Aber …«
    Sie lächelte. »Ich will eine Weile hin und her fahren. Die Erschütterungen spüren. Das Rumpeln hören. Andere Leute riechen und ihr Gemurmel hören. Für eine Weile will ich mal nichts und niemand sein.«
    »Ich verstehe. Ich hole dich morgen vor der Beerdigung ab.«
    »Nein.« Sie zog an ihrer blauen Kappe. »Ich möchte allein mit Mrs Cheadle sein. Wir treffen dich dann da. Wir können im Anschluss noch zu dritt irgendwohin gehen.«
    An der Haltestelle stieg sie aus und beugte sich durchs Fenster. »Warum ist das passiert, Tal? Warum?«
    Bevor ich antworten konnte, lief sie schon die Stufen zur Haltestelle hinunter.
    Ich sah ihr hinterher, bis die blaue Kappe verschwunden war.
    Als ich nach Hause kam, rollte ich mich mit einem zweiten Glas Cabernet auf dem Sofa zusammen. Ich hatte schon bessere Tage erlebt.
    Oh, es war wunderbar, Chesa nach all diesen Jahren wiederzusehen, aber das hatte mich auch nachdenklich gemacht. Die Vergangenheit war für mich immer da, insbesondere dann, wenn ich jemanden traf, der meinen Dad gekannt hatte.
    Ich machte eine der Terrassentüren auf. Ein Schwall kalter Luft drang herein, und das Geräusch von Reifen, die auf dem nassen Asphalt durchdrehten.
    Penny streifte an mir vorbei, um auf einem Stückchen Rasen ihr Geschäft zu verrichten.
    Chesa war aus der früheren Zeit, der Vorher-Zeit. Ich musste lachen. Ich war ja selbst ein Schuster, dem die Schuhe abhandengekommen waren. Es war Zeit, Dad loszulassen. Das konnte ich spüren. Vielleicht war Chesa der Schlüssel. Über die Schulter warf ich einen Blick auf die Sammlung Meerschaumpfeifen auf dem Kaminsims.
    Als Penny zurückkam, schloss ich die Türen und ver-suchte es noch einmal bei Blessing. Noch einmal sprach ich ihm eine Nachricht aufs Band zusammen mit meiner Handynummer. Der Kerl litt. Ich hoffte nur, er würde keine Dummheit begehen.
    Auf der kurzen Fahrt zu McArdle am folgenden Morgen mischte Grau sich mit einzelnen blauen Stellen am Himmel. Schnee lag in der Luft.
    Ich machte mir Sorgen um Chesa. Dellas Beerdigung war eine Art Schlussstrich, aber für sie würde es hart werden. Und Chesa ließ sich nichts anmerken, was es nur noch schwieriger machte.
    Die rote Markise flatterte im Wind, als ich darunter trat. Meine Finger waren vor Kälte steif. Ich rüttelte am Türknauf. Er ließ sich nicht drehen.
    Ich hämmerte ein paar Mal gegen die Tür und versuchte, das Eis zu entfernen, damit sie aufging. Plötzlich gab sie nach, und ich stolperte hinein.
    Das Foyer war dunkel. Zu dunkel. Und es war still. Geradezu unnatürlich still. Ich bekam eine Gänsehaut.
    »Hallo?«, rief ich laut.
    Nichts. Ich war ein paar Minuten zu früh dran, aber … Ich tastete mich an der Wand entlang, bis ich den Schalter fand, und knipste das Licht an.
    Der Ständer, auf dem das Kondolenzbuch gelegen hatte, lag auf dem Boden, und irgendjemand hatte ein großes Loch in die Wand geschlagen.
    Mist, verdammter.
    »Mr McArdle?« Ich zog mein Pfefferspray aus der Tasche und ging durchs Foyer zum Aufbahrungsraum.
    Durch die Fenster drang trübes Sonnenlicht. Klappstühle lagen mitten im Raum auf einem Haufen. Ein stechender Geruch wie nach Benzin hing in der Luft. Faustgroße Löcher waren auch hier in den Wänden zu sehen, und auf dem roten Teppichboden lagen Blumenständer und Gebetsbücher verstreut. Herausgerissene Seiten flatterten herum, als ich eintrat.
    Auf Dellas geschlossenem Sarg lag ein Gesteck aus Lilien. Wenigstens hatte der Vandale etwas Anstand gezeigt. Vielleicht war McArdle gerade auf der örtlichen Polizeiwache. Fehlte nur
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