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Tödliche Ernte

Tödliche Ernte

Titel: Tödliche Ernte
Autoren: Vicky Stiefel
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festgefroren. Chesa rüttelte an der Tür, bis sie schließlich nachgab.
    Sie hielt abrupt inne. »Dieser Anruf, dass Della tot ist. Ich bin total fertig. Ich will sie nicht tot sehen. Zwingst du mich dazu, Miss Tally Whyte?« Ihr Kichern klang verängstigt.
    »Das hier ist deine Angelegenheit«, sagte ich sanft.
    »Ich kann mich kaum rühren.« Sie sank gegen die Tür und lehnte den Kopf zurück. Aus ihren Augenwinkeln glitten Tränen. Sie rannen über ihre Wangen, um sich an dem spitzen Kinn zu treffen. »Della war mein Ein und Alles. Jetzt habe ich niemanden mehr.«
    »Willst du erst noch einen Kaffee trinken?«, fragte ich.
    »Ja. Gern. Wir könnten einen Happen essen und uns unterhalten und dann … Aber wem mache ich hier was vor? Wir bringen es besser hinter uns. Das wird zum Kotzen.«
    Ich schlang den Arm um Chesas Taille, und wir gingen hinein.
    Der getäfelte Eingangsbereich roch nach Alter, Raumbeduftern und Tod, genau wie jedes andere Beerdigungsunternehmen, in dem ich je gewesen war. Ich hasste die Dinger.
    Ich dirigierte Chesa über den weichen, weinroten Teppich zum Aufbahrungsraum. Ich hätte mir etwas Besseres vorstellen können als die düstere klassische Musik, die aus unsichtbaren Lautsprechern erklang.
    Chesa zitterte, und ich drückte sie noch fester. Wo war der Bestatter?
    »Mrs Cheadle arbeitet hier. Sie hat mir Bescheid gesagt. Sie meinte, Della sei im vorderen Raum.«
    Wir lugten unter einem Bogen hindurch. Gepolsterte Klappstühle standen in drei Reihen da, wie Soldaten bei einer Parade. Auf der anderen Seite des Raumes lag Chesas Schwester in einem mit blauem Satin ausgeschlagenen Mahagonisarg.
    Jemand räusperte sich. Erschrocken drehten wir uns um.
    Ein kleiner bärtiger Mann in einem blauen Anzug nickte uns feierlich zu. Er trug sein Haar in Dreadlocks – ein Weißer, der vielleicht versuchte, sich in ein schwarzes Viertel zu integrieren. Seine blauen Augen wirkten hinter den dicken Brillengläsern riesig. Ich vermutete, dass sich hinter dem weichen Blick professionelles Mitgefühl verbarg.
    Er rieb sich das Ohrläppchen und reichte erst Chesa und dann mir die Hand.
    »Ich bin Mr McArdle«, sagte er mit weichem Südstaatenakzent. »Sie sind bestimmt wegen Miss Della hier.« Er winkte uns herein.
    Chesa legte die Hand auf Dellas Gesicht. Meine Kehle schmerzte vor Trauer.
    Ich wollte allein mit McArdle sein, wenn ich ihn fragte, wie Della gestorben war.
    Viele Minuten später trat Chesa zurück. Während ich ihren farbenfrohen, völlig durchnässten Schal gegen mein Ersatztaschentuch austauschte, fragte sie McArdle, ob es hier einen Ort zum Beten gab. Er sagte, es gäbe einen kleinen Altar vorn beim Eingang und geleitete sie hinaus.
    Ich trat an den Sarg. Ich tätschelte Dellas Wange, und ihre Ohrringe klimperten. Ihre Patriziernase ragte noch immer hoch über die Wangen hinaus, die McArdle Gott sei Dank nicht mit Watte ausgestopft hatte. Nicht einmal der Tod und die Anstrengungen des Bestatters hatten ihr ihre große Schönheit nehmen können, obwohl ihr Pagen-kopf zu wünschen übrig ließ. Ihr vollen Lippen waren versiegelt – zugenäht, wie ich wusste. Himmel. Ich wusste zu viel.
    Ich nahm ihre feingliedrige Hand in meine kräftige.
    Della war jung, nicht einmal dreißig. Und dennoch war sie nicht in einem Leichensack in den Kummerladen eingeliefert worden. Woran also war sie gestorben?
    Ich atmete tief ein, und das stark duftende Rosenpotpourri des Aufbahrungsraumes verursachte mir leichte Übelkeit. Ich berührte ihre Schultern und ließ meinen Blick erneut forschend über ihr Gesicht gleiten. Ihre Augen traten zu weit hervor …
    Ich zog ein Lid hoch.
    Ich war nicht überrascht. Eine Wattekugel starrte mir entgegen.
    Dellas Tigeraugen waren verschwunden.
    Ich drehte mich um. McArdle stand unter dem Bogen am Eingang des Raumes.
    »Besaß Della Charles einen Organspenderausweis, Mr McArdle?«
    Er lächelte. »Ihnen entgeht nicht viel, hm? Das hat zumindest ihr Arzt gesagt. Tut mir leid, dass Sie sich erschrocken haben. Die meisten Menschen merken nicht …«
    »Entschuldigung. Reine Gewohnheit. Wissen Sie denn, wo und wie sie gestorben ist?«
    Er tätschelte meine Hand. »Miss Della Charles ist im Massachusetts General Hospital verstorben. Auszehrung. Leider im Winter nichts Seltenes bei den Bedürftigen. Sie wurde halb erfroren auf dem Parkplatz gegenüber vom Wang Center aufgegriffen. Sie war unterernährt und verwirrt. Ich glaube, man hat sie mehr als vierundzwanzig Stunden
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