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Toechter der Dunkelheit

Toechter der Dunkelheit

Titel: Toechter der Dunkelheit
Autoren: Alexandra Balzer
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göttlichen Schutz im Diesseits. Inani zog den Dolch, nahm das Pergament in die Hand und näherte sich geräuschlos dem Bett.
    Du bist mein, dachte Inani grausam lächelnd, als sie die Träne der Pya über dem Kopf des Priesters an der Wand befestigte.
    Ein kaum wahrnehmbares Rascheln warnte sie. Inani wirbelte herum, zum offenen Türbogen gegenüber des Bettes. Sofort nahm sie Kampfhaltung an, sprang auf den Eindringling zu, bereit zum tödlichen Schlag – und hielt inne, als sie gewahr wurde, wer ihr Gegner war: Ein schmächtiger Junge in weißer Leinenkleidung, vielleicht ein, zwei Jahre älter als sie selbst, starrte sie zu Tode erschrocken aus weit aufgerissenen Augen an. Er trug einen Stoß gelber Roben im Arm, die er jetzt fallen ließ. Inanis sprang hinter ihn, packte ihn grob, riss ihn an sich heran, und hielt seinen Mund zu, bevor er auch nur daran denken konnte zu schreien. Die linke Hand grub sie in seine dunkelbraunen Haare, sodass er den Kopf nicht mehr befreien konnte, mit der rechten drückte sie nun gegen seinen Hals, um ihn am Schreien zu hindern.
    „Keinen Laut, oder es war dein letzter!“, wisperte sie in sein Ohr. Sie spürte, wie er zitterte und verstärkte den Druck gegen seine Kehle. „Wenn ich dich loslasse, wirst du ruhig sein, verstanden?“ Er nickte gegen ihre Schulter. Langsam nahm sie die Hand von seinem Hals, gab seinen Kopf aber noch nicht frei.
    „Wie heißt du?“
    „Ja-Janiel“, hauchte er verängstigt.
    „Leg dich auf den Bauch, die Arme über den Kopf. Zähl bis hundert, danach darfst du schreien. Rühr dich vorher, zucke nur mit der Wimper und ich werde dich umbringen, verstanden?“
                                                                                   
    Janiel wimmerte fast, als er die tödliche Kälte in den Worten des Mädchens hörte. Er war erst vor zwei Tagen im Tempel aufgenommen worden, von seinen eigenen Eltern verkauft für einen Sack Mehl und einen Esel. Das übliche Schicksal kleiner Jungen, die magische Kräfte besaßen – ihre Familien schoben sie stets so rasch wie möglich zu den Priestern ab. Mit dreizehn Jahren war er recht alt, es war ihm lange gelungen, seine merkwürdigen Unfälle geheim zu halten. Alles hatte er versucht, um seinen Vater davon zu überzeugen, dass er ein normaler Junge war, der seine Arbeit auf dem elterlichen Bauernhof leisten konnte. Er wollte nicht hier sein, getrennt von seinen Eltern und Geschwistern. Nicht bei den Priestern, nicht bei Garnith, dem jähzornigen alten Mann, und erst recht nicht in der Gewalt dieses dämonischen Mädchens. Der Finsterling selbst schien aus ihren Raubtieraugen zu sprechen und sie besaß Magie! Was bei Männern schon ungern gesehen war – Magie war unheimlich, sie stand doch eigentlich nur den Göttern zu! – bedeutete für Frauen das Todesurteil, so viel wusste Janiel bereits von der Welt.
    Zitternd ließ er zu, dass dieses finstere Geschöpf ihn zu Boden drückte. Er versuchte zu zählen, verhaspelte sich aber immer wieder. Bis hundert würde er sowieso nicht kommen, sein Vater hatte ihm nie erlaubt, rechnen zu lernen, da seiner Meinung nach ein Bauer nicht klüger sein durfte als die hochgeborenen Herren. Plötzlich roch er Feuchtigkeit, ein kühler Hauch strich über seinen Nacken. Unwillkürlich blickte Janiel hoch und fand sich von Nebel umgeben. Erschrocken stützte er sich auf und sah die Gestalt des Mädchens. Sie drehte sich zu ihm um, schenkte ihm ein geheimnisvolles Lächeln. Dann sank sie in sich zusammen und glänzend schwarzes Fell überzog ihren Leib. Eine schlanke Raubkatze verschwand im Nebel und ließ ihn bewegungslos erstarrt zurück. Janiel presste die Augen zusammen, er wollte diesen Wahnsinn nicht mehr sehen müssen.
    Als er wieder aufblickte, war der Nebel verschwunden. Die Sonne strahlte warm und friedlich in das Turmzimmer und ließ den Ti-Schrein mit der kleinen Goldstatue, der sich neben dem Bett des Erzpriesters befand, aufleuchten. Wie gehetzt starrte Janiel um sich, suchte nach dem finsteren Mädchen, dem Panther, irgendetwas, das ihm bewies, es war kein furchtbarer Traum
    gewesen. Ein großer Rabe saß auf dem Fenstersims rechts von ihm. Der Vogel legte den Kopf schräg. Er starrte ihn aus klugen Augen an. Sein Krächzen klang wie Spott in Janiels Ohren. Der Schnabel des Raben zuckte herum, er hob einen Flügel; deutlich erkennbar wies er zum Bett. Garnith war aufgewacht,
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