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Toechter der Dunkelheit

Toechter der Dunkelheit

Titel: Toechter der Dunkelheit
Autoren: Alexandra Balzer
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Tempelkomplexes befand.
    Doch dies alles interessierte die beiden Hexen nicht, die in der Gestalt ihrer Vertrauten warteten, bis der rechte Moment gekommen war. Kythara unternahm in Rabengestalt gelegentliche Aufklärungsflüge, während Inani als Schlange in einer Mauerritze verborgen zurückblieb. Es gab viele Raben in Roen Orm, man betrachtete sie als nützliche, kluge Vögel, deshalb drohte Kythara keinerlei Gefahr. Kein einziger der gelbgewandeten Priester spürte, dass zwei Hexen in ihrer Mitte wandelten.
    „Er ist immer noch in Gesellschaft, aber ich denke, er wird sich bald zu einem Mittagsschlaf zurückziehen“, sprach sie in Inanis Bewusstsein.
    „Gut! Sagst du mir jetzt, was ich mit dem Pergament tun muss?“
    „Nicht viel. Du wartest, bis du mit Garnith allein in einem Raum bist und hinterlässt die Träne Pyas in seiner unmittelbaren Nähe, mitsamt deinem Dolch. Garnith wird verstehen, was das bedeutet: Eine Dunkle Tochter war bei ihm, sie hätte ihn töten können, doch sie hat ihn nicht angerührt. Er wird wissen, dass er gejagt wird, und von dieser Stunde an wird Angst sein Gefährte sein. In jedem Schatten wird er dich vermuten, keine Nacht wird er mehr Ruhe finden können. In einigen Monden wirst du ihm eine neue Warnung schicken, es bleibt dir überlassen, welche – vielleicht zeichnest du seinen Namen mit deinem eigenen Blut, vielleicht schneidest du ein Büschel seiner Haare ab oder zerstörst seine Festtagsrobe. Dies ist dein Spiel, Inani. Von heute an darfst du, wann immer du möchtest, nach Roen Orm reisen, um es zu genießen. Nimm allerdings eine erfahrene Hexe als Schutz mit, bis du deine Reifeprüfung abgelegt hast! Spiele, solange du möchtest. Beschütze Garnith vor Krankheiten und Unfällen, lass ihn niemals aus deinen Klauen. Und wenn du spürst, der richtige Moment ist gekommen, töte ihn. Ob langsam oder schnell, spielt dann keine Rolle mehr, die Angst wird ihn bis dahin völlig zerrüttet haben.“
    „Ich verstehe.“ Inanis Gedanken waren völlig ausdruckslos, bedingt durch ihre seelische Nähe zur Kyphra, doch Aufregung und Vorfreude brodelten unterhalb des Reptilienbewusstseins.
    Als Kythara das nächste Mal von ihrem Flug zurückkehrte, musste sie Inani nicht erst sagen, dass es soweit war.
    „Alle Priester haben sich zur Meditation oder Ruhe zurückgezogen. In etwa einer halben Stunde werden sie sich zum Gebet versammeln, du musst dich also nicht beeilen. Garnith ist im Südturm, alle Fenster sind geöffnet. Ich werde als Rabe in der Nähe sein, falls es Schwierigkeiten gibt, hole ich dich dort raus – meine Messer habe ich nicht zur Dekoration mitgenommen! Wenn aber alles nach Plan verläuft, hinterlasse deine Botschaft und gehe sofort in die Nebelwelt. Warte am Rand der Schleier auf mich, ich treffe dich dort.“
    „Einverstanden. Ich werde als Panther zu ihm gehen, nicht als Kyphra.“
    Inani glitt aus ihrem Versteck heraus. Der Innenhof war leer, alle Priester, die bis vor kurzem hin und her geeilt waren, hatten sich in die Wohngebäude zurückgezogen, die zum gewaltigen Tempelkomplex gehörten. Die Luft flirrte einen Moment lang, dann war ihre Schlangengestalt verschwunden und sie kauerte sich als Raubkatze am Boden nieder. Kythara – der Rabe – krächzte ihr aufmunternd zu, flatterte in die Höhe, umkreiste den Südturm und ließ sich auf einem Fenstersims nieder. Inani nahm Anlauf und sprang kraftvoll in die Höhe. Mühelos fand sie Halt in dem unebenen Gestein, stieß sich ab, landete auf dem Kopf einer Statue irgendeines längst verstorbenen Erzpriesters.
    Leicht und elegant suchte sie sich ihren Weg, und gelangte schließlich lautlos in das karg eingerichtete Schlafgemach von Garnith, dem obersten Priester der Sonne.
    Der alte Mann schlief fest, er ahnte nichts von der Gefahr in Gestalt des schwarzhaarigen Mädchens, das sich vor seinem Bett erhob. Dieser Aspekt der Wandlungsmagie faszinierte sie immer noch am meisten – sowohl Kleidung als auch Ausrüstung wurden zum Teil der Tiergestalt und kehrten vollständig zurück, sobald man wieder zum Mensch wurde.
    Inanis Raubtieraugen ruhten auf dem zerbrechlichen Körper des Alten. Sie spürte die Kraft, die durch die Adern dieses Mannes pulsierte, die feurige Macht des Sonnengottes. Doch sie sah auch die Schatten, die ihn umgaben. Ti hatte sich von diesem Priester abgewandt. Der Gott konnte die Gaben nicht zurücknehmen, aber es war gewiss: Garnith würde keine Gnade im Jenseits erwarten können, und keinen
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